Mark Carney hat zuvor noch nie für ein politisches Amt kandidiert. Der Notenbanker versprüht nicht das grosse Charisma, wirkt eher spröde – und er ist erst letzten Monat zum Chef seiner Partei und damit Premierminister Kanadas geworden. Seine Partei lag noch Anfang Jahr über 20 Prozentpunkte im Rückstand gegenüber den Konservativen. Doch Carney hat eine selten gesehene Aufholjagd geschafft, und gewinnt gemäss Prognosen mit den Liberalen die Wahl in Kanada. Noch ist Stand beim Verfassen dieses Artikels offen, ob die Liberalen die Mehrheit der Sitze im Parlament erreichen, oder ob Carney mit einer Minderheit regieren muss.
Wahlhelfer für Carney war Donald Trump. Dass die Liberalen eine vierte Amtszeit in der Regierung schaffen, ist sehr ungewöhnlich für Kanada. Trumps Zollkrieg und seine Drohungen, Kanada müsse ein Bundesstaat der USA werden, wenn es die wirtschaftlich vernichtenden Folgen von US-Zöllen vermeiden wolle, haben die Kanadierinnen und Kanadier in existentieller Wut und Angst vereint. Davon hat Carney profitiert.
Ein krisenerprobter Mann
Gäbe es keine Krise, würde er nicht hier stehen, sagte Carney. Und tatsächlich sahen ihn viele als am ehesten fähig, Trump die Stirn zu bieten – aber auch, Kanada durch die Wirtschaftskrise zu steuern, die wegen Trumps Zöllen droht. Carney war Notenbanker in Grossbritannien beim Brexit und in Kanada in der Finanzkrise – der Mann ist krisenerprobt.
Carney verspricht eine harte Haltung gegenüber Trump, aber auch Unterstützung für von Zöllen bedrohte Unternehmen und Arbeitnehmende, den Abbau von Handelsbarrieren innerhalb Kanadas, zwischen den Provinzen, sowie neue Handelsbeziehungen mit Europa und anderen Ländern.
Bittere Niederlage für die Konservativen
Der Konservative Pierre Poilievre versprach eigentlich ähnliches. Doch ihm ist der noch Anfang Jahr sicher geglaubte Sieg entglitten, als Trumps Drohungen andere Sorgen der Menschen wie die Teuerung, unerschwingliche Wohnkosten oder Immigration etwas in den Hintergrund treten liessen. Es ist eine bittere Niederlage für die Konservativen.
Poilievre vertrat allerdings auch ähnliche Politikpunkte wie Donald Trump, pflegte einen ähnlichen Stil: gegen Wokeness, gegen Entwicklungshilfe ins Ausland, gegen den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, gegen angeblich korrupte Eliten, gegen Einwanderung. Manchen war er vielleicht zu ähnlich zu Trump.
Schliesslich ist mit dem Abtreten des unbeliebten Ex-Premiers Justin Trudeau auch das Hauptobjekt der konservativen Kritik verschwunden. Es gelang Poilievre nicht, die Wählerschaft zu überzeugen, dass Carney im Prinzip nur eine Neuauflage von Trudeaus Politik bedeutet. Dass Carney ein Polit-Neuling ist, hat ihm wohl geholfen – dass viele in ihm einen Wechsel von der unbeliebten Vorgängerregierung sahen.
Die Liberalen haben auch gewonnen, weil die Wähleranteile der kleineren Parteien kollabierten. Die Wahl ist ein Desaster für die linke Neue Demokratische Partei (NDP) und den Bloc Québécois. Anliegen wie die kulturelle Identität und die französische Sprache, die traditionell in Québec wichtig sind, sind in den Hintergrund getreten. Viele Menschen in der mehrheitlich französischsprachigen Provinz sind zum Schluss gekommen, dass nun eine starke Regierung und die Verteidigung gegen Trump wichtiger sind, und sind in vielen Fällen zu den Liberalen übergelaufen.
Zusammen gegen Trump – es war das Motto der Wahl, und es ist der Auftrag an den Premierminister.