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Sigmar Gabriel muss gehen Pragmatiker auf Solokurs

Das Ende war typisch Gabriel. Der scheidende Aussenminister mochte nicht warten, bis die SPD Führung seinen Rausschmiss aus der Regierung bekanntgab. Er ging selber per Twitter an die Öffentlichkeit, als ob er den Entscheid noch in der Hand gehabt hätte.

Und diese letzte Episode illustriert anschaulich, wie der Politiker Gabriel tickt: Er hatte einerseits einen unglaublichen politischen Instinkt für Themen und Entwicklungen. Zum Beispiel erkannte er als erster, dass die AfD den Begriff Heimat okkupieren wollte, und versuchte ihn zurückzuerobern. Andererseits ist Gabriel sprunghaft. Eine «loose cannon», wie die Amerikaner sagen, also eine Kanone, die unbefestigt auf dem Deck eines Schiffs hin- und herrollt und es zum Kentern bringen könnte. Das Schiff heisst SPD und die Genossen können ein Lied mit unendlich vielen Strophen davon singen, wie Gabriel das Mannschaftsspiel der SPD sabotierte.

Als Aussenminister schaffte er den Spagat zwischen Diplomatie und klarer Kante. Anders als sein Vorgänger Frank Walter Steinmeier, der jetzige Bundespräsident, spricht Gabriel durchaus auch vor der Kamera mal Klartext. Er strahlte eine Robustheit aus und würde auch bei einem freundschaftlichen Klaps seines türkischen Amtskollegen auf die Schultern nicht in die Knie gehen.

Ein Pragmatiker

Es ist, so berichten die deutschen Medien, vor allem Gabriels persönlichem Einsatz zu verdanken, dass der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nach einem Jahr aus türkischer Haft freikam. Das war aber eine humanitäre Einzelleistung. Im Februar sprach sich Gabriel andererseits dafür aus, die Sanktionen gegen Russland zu lockern, obwohl dies nicht die offizielle Position ist. Dabei müsste er wissen, dass Deutschland nur dann aussenpolitisches Gewicht hat, wenn seine Regierung mit einer Stimme spricht. Gabriel ist ein Pragmatiker, aber es bleiben Zweifel, wie viele Grundprinzipien er dafür über Bord werfen würde.

Gabriel war in den Umfragen der beliebteste Politiker Deutschlands. Allerdings: Das sind Aussenminister in Deutschland meistens. Dass das neue Führungsduo der SPD, Fraktionschefin Andrea Nahles und der künftige Finanzminister Olaf Scholz, sich Gabriel nicht mehr antun will, zeigt einen klaren Führungsanspruch. Und das braucht die SPD: Es muss klar sein, wer steuert und wer rudert.

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