Die Staats-und Regierungschefs der EU haben sich in der Nacht auf zwei Optionen geeinigt: Wenn das britische Parlament nächste Woche dem Brexit-Abkommen zustimmt, wäre das Austrittsdatum am 22. Mai. Geschieht dies nicht, müsste Grossbritannien am 12. April entscheiden, wie es weitergeht. GB-Korrespondent Martin Alioth erläutert die Optionen der Briten.
SRF News: Wie reagiert man in Grossbritannien auf den Entscheid der EU in Bezug auf den Brexit?
Martin Alioth: Primär herrscht Erleichterung vor, dass der 29. März definitiv als der Zeitpunkt, an dem das Vereinigte Königreich absichtlich oder unabsichtlich in den vertragslosen Zustand abstürzen könnte, vom Tisch ist. Das war wohl die Absicht der 27 Staats- und Regierungschefs. Der Entscheid gibt dem britischen Parlament etwas mehr Zeit, die Initiative zu übernehmen und Frau May vom Schlimmsten abzuhalten.
Das Austrittsabkommen wurde bereits zweimal abgelehnt. Nächste Woche kommt es eventuell erneut zur Abstimmung. Hat es überhaupt eine Chance?
Es sieht nicht gut aus. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass es angenommen wird, aber es bräuchte einen Domino-Effekt. Beispielsweise müssten die nordirischen Abgeordneten der Democratic Unionist Party mysteriöserweise einlenken und in ihrem Gefolge müssten sich Dutzende von konservativen Abgeordneten auf die Seite ihrer Premierministerin stellen. Und zusätzlich müssten zwei Dutzend Labour-Abgeordnete das ebenfalls tun. Das ist unwahrscheinlich.
Das britische System war nahe an einem Nervenzusammenbruch.
Es gilt hinzuzufügen, dass der Sprecher des Unterhauses eine Wiederholung dieser Abstimmung noch nicht bewilligt hat. Ich denke, er wird dies angesichts der gravierenden Umstände tun, doch das müssen wir abwarten. Es kommt noch hinzu, dass Frau May in ihrer sehr eigenartigen Fernsehansprache vorgestern Abend das Parlament beschuldigt hat, an diesem Stillstand schuld zu sein. Damit hat sie sich ganz bestimmt keine Freunde gemacht.
Lehnt das Parlament das Abkommen wieder ab, müsste es eine weitere Verlängerung für den Austritt beantragen. Grossbritannien müsste dann theoretisch an den Europawahlen teilnehmen. Wie wird dieses Szenario vor Ort diskutiert?
Das primäre Szenario im Unterhaus, wenn das Scheidungsabkommen erneut verworfen wird, ist der Versuch, eine konsensfähige Alternative zu entwickeln. Das wäre zum Beispiel ein Norwegen plus, das heisst, Zugehörigkeit zu Binnenmarkt und Zollunion.
Nehmen wir an, das Abkommen scheitert nächste Woche im Parlament. Dann könnten die Briten einen langen Aufschub beantragen. Geht es darum, möglichst viel Zeit zu gewinnen?
Das ist eine legitime Sichtweise. Ich würde es dramatischer formulieren: Die nächsten 14 Tage oder drei Wochen bringen uns das Endspiel in Sachen Brexit. Es ist genug an Verzögerung und an Nicht-Entscheidungen. Das britische System war nahe an einem Nervenzusammenbruch. Es muss sich irgendwann zusammenraufen.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.