Gastgeberland des diesjährigen Eurovision Song Contests (ESC) ist Israel. Doch die Lage ist angespannt. Vor zehn Tagen kam es zu einer Konfrontation: Die Hamas schoss hunderte Raketen in Richtung Israel. Das Land antwortete mit Vergeltungsschlägen. Momentan herrscht Waffenruhe. Die Stimmung in der Stadt sei trotzdem ausgelassen, sagt Gisela Dachs. Sie lebt in Tel Aviv.
SRF News: Der ESC hat begonnen. Wie ist die Stimmung in Tel Aviv?
Gisela Dachs: Es sind weniger Touristen da als erwartet, aber die Atmosphäre in der Stadt ist ziemlich ausgelassen – mit allen möglichen Food-Festivals und Musik und Partystimmung in einem Dorf, das extra aufgebaut worden ist. Es gibt täglich Berichte über die Proben und die Stimmung bei den Delegationen.
Wie hat sich Israel in Sachen Sicherheit vorbereitet?
Das Raketenabwehrsystem wurde flächendeckend aufgestellt für den Fall, dass die Hamas oder der Islamische Dschihad sich nicht mehr an die Waffenruhe halten. Zur Sicherheit sind auch UNO-Beobachter und Ägypter, die als Vermittler fungieren, dort, um dafür zu sorgen, dass die Waffenruhe hält.
Auf palästinensischer Seite wird die Veranstaltung kritisiert. Sie lenke von den wahren Problemen ab. Wird sich die Hamas an die Waffenruhe halten?
Das wird man sehen. Im Gazastreifen wird es im Rahmen des «grossen Marsches der Rückkehr» wie angekündigt eine Demonstration an der Grenze zu Israel geben. Der 15. Mai ist die sogenannte Nakbah; der Tag, der an die Flucht und Vertreibung der Palästinenser von 1948 erinnert. Die Hamas hat ein Interesse daran, die eigenen Leute unter Kontrolle zu halten.
Der ESC wäre ideal als Angriffsmöglichkeit, weil die Welt hinschaut und viele Journalisten hier sind. Und er ist den Islamisten als freizügiges, westliches Spektakel sowieso ein Dorn im Auge.
Es ist Ramadan und sie will ihnen etwas bieten. Beim Islamischen Dschihad, der vom Iran kontrolliert wird, könnte das anders aussehen. Man darf nicht vergessen: Der ESC wäre ideal als Angriffsmöglichkeit, weil die Welt hinschaut und viele Journalisten hier sind. Und er ist den Islamisten als freizügiges, westliches Spektakel sowieso ein Dorn im Auge.
Die umstrittene BDS-Bewegung – BDS steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen – rief zum Boykott des ESC auf. Trübt dies die Stimmung?
Am Rande der Eröffnungsveranstaltung protestierte eine kleine Gruppe. Daraufhin hat man die Feierlichkeiten 20 Minuten hinausgezögert. Die Gruppe wurde woanders hingebracht, wo sie weiter demonstrieren durfte.
Man ist hier vor allem froh, dass man eine Gelegenheit hat, das eigene Land anders zu präsentieren, als es normalerweise in den Medien üblich ist.
Aber insgesamt spielt dies für die Delegationen keine grosse Rolle. Sie waren bereits am Toten Meer baden. Jetzt konzentrieren sie sich auf ihre Musik und freuen sich auf den Wettbewerb. Viele von ihnen sagen, Kultur und Musik sei das Eine, Politik das Andere, und das könne man nicht immer vermischen.
Es kam auch zu innerisraelischem Protest. Ultraorthodoxe Gruppen kritisieren, dass das Finale am Schabbat stattfindet. Ist das ein Problem?
Diese Kritik kam, als man noch dachte, dass der ESC in Jerusalem stattfinden würde. Das Problem hat man gelöst, indem man ihn in die säkulare Hochburg am Mittelmeer transferiert hat. Denn in Tel Aviv geht, was in Jerusalem sehr viel schwieriger, ja sogar undenkbar wäre: Ein ausgelassenes, freizügiges Fest.
Wird der ESC also ein sicheres und fröhliches Fest werden?
Das hofft man. Israel hat Erfahrung damit, an grossen Veranstaltungen für Sicherheit zu sorgen. Aber man ist hier vor allem froh, dass man eine Gelegenheit hat, das eigene Land anders zu präsentieren, als es normalerweise in den Medien üblich ist. 200 Millionen Zuschauer sind beim ESC dabei. 1500 Journalisten sind hier. Und für die Israelis ist die Gastgeberrolle auch eine Botschaft: Man gehört zur westlichen Welt.