US-Präsident Joe Bidens Nordkorea-Politik lautet – in Kürzestform – so: Nicht Obama, nicht Trump. Biden setzt also nicht auf Barack Obamas «strategische Geduld», aufgrund derer Washington einfach darauf wartete, ob sich Nordkorea bewegt. Vergeblich. Und er setzt nicht auf einen «grossen Deal» wie Donald Trump, ausgehandelt direkt mit Diktator Kim Jong-Un. Erfolglos.
Biden droht Kim vielmehr Vergeltung an, falls der den Konflikt verschärft. Aber er offeriert zugleich diplomatische Schritte, sofern sich Pjöngjang zu einer Entnuklearisierung bekennt. Bloss: Das Kim-Regime widersetzt sich diesem Ziel. Momentan finden keinerlei Verhandlungen statt.
Die Bedrohung nimmt zu
Jung Pak, die früher die Nordkorea-Abteilung beim US-Geheimdienst CIA leitete und heute bei der liberalen Denkfabrik Brookings arbeitet, spricht von einem «tiefen Graben zwischen dem, was Washington und dem, was Pjöngjang anstrebt».
Es sei jedoch falsch, das Nordkorea-Problem zu unterschätzen oder gar zu ignorieren: «Obschon das Land seit vier Jahren keinen Atomtest mehr durchführte, ist die Bedrohung keineswegs kleiner geworden.»
Im Gegenteil, wie jetzt eine Studie zum nordkoreanischen Atom- und Raketenprogramm zeigt. Sie wurde – höchst ungewöhnlich – gemeinsam von einem russischen und einem britischen Strategieinstitut erarbeitet.
Die Erkenntnisse sind besorgniserregend. «Die Sanktionen gegen Nordkorea funktionieren nicht», sagt Anton Khlopkov vom Zentrum für Energie- und Sicherheitsstudien in Moskau. «Das nordkoreanische Atomprogramm wurde nicht gestoppt, sondern bestenfalls etwas gebremst.»
Autonomes atomares Rüstungsprogramm
Das Land verfüge über hoch qualifizierte und äusserst motivierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die dank oft öffentlich zugänglichem Wissen und dank raffinierten heimlichen Beschaffungswegen das Atombombenprogramm inzwischen «weitgehend autonom, ohne jede ausländische Hilfe vorantreiben können».
Das Land besitzt zudem, so die Studie, im Plutonium- und im Uranbereich über die Ausgangsstoffe für den Bombenbau. Und zwar genügend, um bis zu 47 nukleare Gefechtsköpfe herzustellen. Jedes Jahr könnten so fünf weitere Atombomben dazukommen.
Man sollte sich mit Kim befassen
«In hohem Tempo schreitet auch das Raketenprogramm voran», sagt Mark Fitzpatrick vom Londoner Strategieinstitut IISS. Erprobte Kurz- und Mittelstreckenraketen besitze Nordkorea bereits. Jetzt arbeite es unter Hochdruck an Interkontinentalraketen. Sie dürften schon in wenigen Jahren voll einsetzbar sein. Fitzpatrick sieht das Nordkorea-Problem gar als eines der gefährlichsten weltweit.
In hohem Tempo schreitet auch das Raketenprogramm voran.
Man müsste dem Problem mehr Aufmerksamkeit schenken, sagt er – meint damit nicht zuletzt Washington. Dies obschon keine Chance für einen grossen Durchbruch besteht.
Trotzdem könnte und sollte es gelingen, mit kleinen Schritten – Reduzierung der Sanktionen einerseits, Bremsen des Atombombenprogramms andrerseits – die Lage zu entspannen und wenigstens das Risiko eines grossen Zusammenpralls nicht weiter zu erhöhen.