In Schweden finden in vier Monaten Wahlen statt. Die Sozialdemokraten, die jahrelang die stärkste Partei des Landes waren, schlagen eine Verschärfung der Asylpolitik vor. Dies gefährdet die Regierungskoalition. Warum sie es trotzdem tun, erklärt SRF-Mitarbeiter Bruno Kaufmann.
SRF News: Warum beenden die Sozialdemokraten in Schweden die grosszügige Asylpolitik, die sie selbst etabliert haben?
Bruno Kaufmann: Das hat mit der besonderen Stellung der Sozialdemokraten in Schweden zu tun. Lange waren sie, wie zum Beispiel die CSU in Bayern, mit Abstand die grösste Partei. Sie vereinten verschiedene Flügel in sich. In den letzten Jahren wurden sie immer kleiner und die innerparteilichen Konflikte wurden deutlicher. In der Asylpolitik hat sich das nun ganz besonders gezeigt.
Welche Massnahmen planen die schwedischen Sozialdemokraten?
Es ist ein langer Massnahmenkatalog, der jetzt vorgeschlagen worden ist. Das Wichtigste: Die Sozialdemokraten wollen, dass Schweden nicht mehr Flüchtlinge aufnimmt als die EU-Länder im Durchschnitt. Das sind bedeutend weniger als das bisher. Man möchte auch bei der Finanzierung sparen, den Familiennachzug verhindern und grosse Asylzentren schaffen, um Menschen schnell abschieben zu können.
Warum dominiert dieses Thema nun den Wahlkampf?
Das hat eine sehr lange Vorgeschichte. Schweden ist seit über 20 Jahren Mitglied der EU und war sehr offen für Einwanderung in diesen ersten Jahren der Mitgliedschaft. Doch dann kam die Flüchtlingskrise 2015. Sie stellte das Land auf den Prüfstand. Viele politische Kräfte haben sich für mehr Restriktionen, für Einwanderungsbeschränkungen ausgesprochen. Die rot-grüne Regierung hat sich für vorübergehende Massnahmen entschieden. Diese sollen im Sommer aufgehoben werden. Deshalb ist das Thema gerade sehr umstritten.
Die Grünen hatten dieser Verschärfung nur zugestimmt, weil sie temporär war. Nun sollen sie definitiv werden. Was heisst das für die rot-grüne Regierungskoalition?
Es ist der Anfang vom Ende dieser Koalition. Sie war in den letzten Jahren nicht sehr erfolgreich. Die rot-grüne Regierung hat nur eine Minderheit im Parlament und deshalb hat man sich zusammengerauft. Aber jetzt sieht es ganz danach aus, dass der Konsens in dieser Frage zwischen den Sozialdemokraten die Grünen nicht mehr besteht. Für den Juniorpartner – die Grünen – wird es sehr schwierig sein, weiter in einer gemeinsamen Regierung zu sitzen. Für die Sozialdemokraten ist es eine Zerreissprobe, weil viele sozialdemokratische Wähler einerseits für eine liberale Einwanderungspolitik eintreten. Andererseits gibt es viele Wählerinnen und Wähler, vor allem auch in der Arbeiterschicht, die für mehr Restriktionen eintreten. Die Sozialdemokraten haben in den letzten Jahren immer wieder Wählerschaft verloren, an die Konservativen wie auch an die Linke. Deshalb sucht man hier einen neuen Grundkonsens. Aber in dieser Frage wird er sehr schwierig zu finden sein.
Wechseln die Sozialdemokraten vier Monate vor den Wahlen ihr politisches Lager?
Ich würde nicht sagen, dass sie das politische Lager wechseln. Man ist ganz klar daran interessiert, mit der konservativen Partei gemeinsame Sache zu machen. Ziel ist, die Schwedendemokraten, die ganz am rechten Rand zur dritten Kraft aufgestiegen sind, weiterhin zu isolieren. Diese Partei hat ihre Wurzeln in der Neonazibewegung, und deshalb möchten sowohl die Sozialdemokraten wie auch die Konservativen hier schon vor den Wahlen reinen Tisch machen, um eben dieser Partei Einfluss wegzunehmen.
Wie kommt der Kurswechsel der Sozialdemokraten in der schwedischen Gesellschaft an ?
Die schwedische Gesellschaft ist in diesen Fragen tief gespalten. Es kommt nicht überraschend, dass die Sozialdemokraten einen konservativ-restriktiven Rückzieher machen. Aber für viele Schwedinnen und Schweden ist es offensichtlich, dass bei der Einwanderung in den letzten Jahren viel an den Wählern vorbei beschlossen worden ist. Dass diese Frage vor den Wahlen für viel Gesprächsstoff sorgt, ist nicht überraschend.
Rechnen Sie damit, dass die Sozialdemokraten dank dieser neuen Strategie in vier Monaten wieder erfolgreich gewählt werden?
Das ist sehr zweifelhaft, weil die Sozialdemokraten schon seit Jahren und Jahrzehnten auf dem absteigenden Ast sind. In Schweden wurden sie von der staatstragende Partei zu einer Partei unter vielen. Dieser Trend wird wohl anhalten. Das schliesst nicht aus, dass die Sozialdemokraten vielleicht wieder zur grössten Partei gewählt werden. Deshalb werden sie auch künftig bei der Regierungsbildung ein gewichtiges Wort mitzureden haben.
Das Gespräch führte Linda von Burg.