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Spannungen in Nahost «Die Hamas hat im Nahen Osten fast keine Unterstützer mehr»

Neuer Anlauf für Frieden zwischen der Hamas und der Fatah: Journalistin Gisela Dachs erklärt, wie sich das auswirkt.

SRF News: Bedeutet das neue Abkommen, dass die Palästinenser bald mit einer Stimme sprechen?

Gisela Dachs: Zumindest gibt es seit langem wieder einen Adressaten statt zwei. Faktisch waren die Palästinensergebiete auch politisch seit fast zehn Jahren zweigeteilt. Im Westjordanland regierte die Palästinenserbehörde und im Gazastreifen die Hamas. Nun hat man beschlossen, dass die ganze Verwaltung einer Einheitsregierung unterstellt werden sollte, mit Beteiligung der Hamas.

Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist so desaströs, dass die Bevölkerung angefangen hat, der Hamas die Schuld zu geben
Autor: Gisela Dachs Journalistin in Tel Aviv

Frühere Versöhnungsversuche zwischen Fatah und Hamas sind gescheitert. Was ist dieses Mal anders?

Diesmal war die Hamas innen- und aussenpolitisch so stark unter Druck, dass ihr nicht viel anderes übriggeblieben ist. Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist so desaströs, dass die Bevölkerung angefangen hat, der Hamas die Schuld zu geben und auch Abbas hat vor einem halben Jahr Sanktionen verhängt. Die Grenzen waren ganz zu, sowohl mit Ägypten als auch mit Israel. Die Hamas hat in der jetzigen Lage im Nahen Osten fast keine Unterstützer mehr. Nur noch die Türkei und Katar halten zu ihnen. Ägypten hat als angrenzendes Land wieder gezeigt, dass es Druck macht und die Situation verändern will. Das hat wohl dazu geführt, dass sich die beiden Parteien geeinigt haben.

Die Hamas wird von Israel als Terrororganisation bezeichnet. Wie fallen die Reaktionen in Israel auf das Abkommen aus?

Nicht für Israel, sondern auch aus Sicht der EU gilt die Hamas als Terrororganisation. Aus Israel kamen verhaltenere Reaktionen als noch vor einer Woche. Man sagt, man wolle sich die Entwicklung erst einmal anschauen. Allerdings hat man schon kritische Fragen nach dem Inhalt des Slogans, den Präsident Abbas ausgegeben hat. Der Slogan lautet: «Eine Regierung, eine Staatsgewalt, ein Gesetz und nur ein politisches Programm». Bisher hat die Hamas Israel nicht anerkannt. Das ist wohl auch in dem jetzigen Abkommen nicht festgeschrieben.

Besonders umstritten ist der bewaffnete Arm der Hamas. Was soll mit diesem laut dem Abkommen passieren?

Im Augenblick ist die Rede davon, dass 3000 Mitglieder der palästinensischen Präsidentengarde an den Grenzübergängen stationiert werden sollten. Es bleiben aber die 25'000 bewaffneten Kämpfer der Hamas. Die Hamas-Führung hat klar signalisiert, dass sie sich nicht entwaffnen lassen werden. Den Hamas-Leuten schwebt das Libanon-Modell vor, wie es die Hisbollah praktiziert. Das geht so: Auf der einen Seite schickt man moderate Abgeordnete ins Parlament, und auf der anderen Seite hat man seine eigene Hausmacht mit eigenem Militär. Im Ernstfall bedeutet das, dass man einen Staat im Staat hat, oder eben einen zweiten Staat. Genau vor dieser Libanonisierung hat man in Israel Sorge. Man kann es allerdings auch positiv sehen. Ägypten engagiert sich wieder stärker als Vermittlungsmacht und das kann im Dreiecksverhältnis Israel, Palästinenserbehörde und Gazastreifen stabilisierend wirken.

Das Libanon-Modell: Auf der einen Seite schickt man moderate Abgeordnete ins Parlament, und auf der anderen Seite hat man seine eigene Hausmacht mit eigener Armee.
Autor: Gisela Dachs Journalistin in Tel Aviv

Wie es weitergeht nach diesem Abkommen ist also noch offen. Wie dringend wäre eine politische Lösung für die Menschen im Gazastreifen?

Eine politische Lösung ist schon sehr weit gegriffen. Es gibt viele konkrete Schritte, die für die Bevölkerung dort wichtig sind, eine intakte Strom- und Wasserversorgung und Zukunftsperspektiven. Dazu müssten die Grenzen wieder offener werden. So kann Handel betrieben werden und Baumaterial, das nicht für die Produktion von Waffen, sondern für den Wiederaufbau verwendet wird, kann eingeführt werden. Das Gebiet ist immer noch zu einem Grossteil vom letzten Krieg zerstört.

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