Olaf Scholz hätte nicht mal das Auto nehmen müssen: Der Kanzler wohnt mitten in der Altstadt von Potsdam, für den Brandenburg-Wahlkampf hätte er bequem zum alten Markt im historischen Zentrum spazieren können. Doch der amtierende SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke wollte den Kanzler nicht im Wahlkampf haben. Scholz ist toxisch.
Nun hat die SPD die Wahl und Brandenburg gewonnen – die Alternative für Deutschland, die AfD, landet auf dem zweiten Platz wie schon vor fünf Jahren.
Böse Zungen sagen: Die SPD hat genau darum gewonnen, weil Scholz im Wahlkampf nicht oder kaum präsent war. Weil sich der Ministerpräsident maximal distanzieren konnte. Somit wars Woidkes Erfolg, trotz Scholz in Berlin.
Olaf Scholz – der deutsche Joe Biden
Zu beobachten also: Szenen einer Zerrüttung zwischen Partei und Kanzler. Der Sieg in Brandenburg gibt Scholz etwas Luft – aber auf lange Sicht wird das Scholz nicht viel helfen. Schon jetzt sind die Zustimmungswerte seiner Berliner Ampel-Koalition einstellig, Scholz ist als Kanzler in den Augen vieler am Ende.
Dabei geht es ihm ein bisschen ähnlich wie Joe Biden, wenn natürlich auch aus anderen Gründen. Biden brauchte lange, bis er realisierte, dass es nicht mehr weiterging. Dann kam Kamala Harris – und haucht den verzweifelten US-Demokraten seither neues Leben, neue Kampfeslust ein.
Der Kamala-Harris-Moment: Auf ihn hoffen insgeheim viele in der SPD. Bislang, bis zur Brandenburg-Wahl, hielt man noch still – doch der Ruf nach einem neuen Kanzler-Kandidaten, er wird kommen. Und Deutschlands Kamala heisst Boris. Boris Pistorius, der Verteidigungsminister. Er ist in Umfragen unangefochten auf Platz eins, trotz seines wohl schwierigsten Ministeriums.
Natürlich wird Scholz um sein politisches Überleben kämpfen. Doch dass er schnell und stabil Ruhe in seine Regierung bringt, ist unwahrscheinlich. Zwist, Streit und Ärger werden weitergehen – was auch damit zusammenhängt, dass sich die Koalitionspartner von Grünen und FDP ebenfalls auf den Bundestags-Wahlkampf nächstes Jahr vorbereiten.
Friedrich Merz hält alle Trümpfe in der Hand
Robert Habeck, der als Kanzler-Kandidat für seine Grünen in den Ring steigt, sammelt bereits Leute für eine Kampagne zusammen, die ganz auf ihn zugeschnitten ist. Da kann er sich Kompromisse in Berlin immer weniger leisten. Und die FDP wird nächstes Jahr (schon wieder) um ihr bundespolitisches Überleben kämpfen. Auf Wohlwollen kann Kanzler Scholz auch da nicht zählen.
Umfragen zufolge stehen sogar die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei nicht hinter Scholz. Eine hauchdünne Mehrheit (49 zu 47 Prozent) ist dagegen, dass Scholz nochmals antritt. Der offizielle Entscheid über die Kanzlerkandidatur der SPD fällt im nächsten Frühsommer.
Gleichzeitig bereitet sich CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz konzentriert auf seine Kampagne vor, gibt sich staatsmännisch und gleichzeitig volksnah, hebt auf Veranstaltungen sogar fröhlich kleine Kinder hoch (und da haben die Kids eine super Aussicht, Merz ist fast zwei Meter gross).
Super Aussichten hat Merz auch mit Blick auf die Umfragewerte: Über 33 Prozent würden CDU wählen – wenn Merz nichts falsch macht (und Scholz sein Gegner bleibt), ist sein Einzug ins Kanzleramt nächstes Jahr so gut wie sicher.
Und Olaf Scholz hätte dann viel Zeit. Auch für Spaziergänge durch die Potsdamer Altstadt zum Beispiel.