Männer in Badehose, Frauen in Saris, Alte und Junge: Sie alle steigen freudig erregt vom flachen Ufer ins eiskalte Flusswasser, das ihnen knapp bis zu den Hüften reicht. Sie tauchen den Kopf dreimal unter, nehmen anschliessend Wasser in die Hände, lassen es über Kopf und Körper fliessen, lächeln beseelt.
Es gibt dir neue Energie, ein echtes Erlebnis.
Die Sonne geht gerade unter, die Luft ist kühl, die Stimmung unter den Badenden heiter.
«Es gibt dir neue Energie, ein echtes Erlebnis», sagt ein Mann, der das heilige Bad gerade hinter sich hat. Er und seine Familie sind extra aus Jaipur in Rajasthan angereist, gut 700 Kilometer von hier entfernt. Die Kumbh Mela sei ein sehr bedeutsames Ereignis für Hindus, sagt der Pilger. Und dieses Wasser besonders heilig. «Nimm auch ein Bad!», sagt er ermunternd.
Hindu-Politiker nutzen das Pilgerfest für politische Zwecke
Besonders heilig ist das Wasser deshalb, weil genau hier die Flüsse Ganges, Yamuna und der mythische Saraswati zusammenfliessen, der nur in der Vorstellung gläubiger Hindus existiert. Darum ist das Menschen-Gewimmel an dieser Stelle auch am grössten. Viele Gläubige füllen Flusswasser in Plastikkanister, als Souvenir für die Daheimgebliebenen.
Normalerweise findet eine Kumbh Mela nur alle zwölf Jahre statt. Manchmal gibt es auch Ausnahmen, wenn hindu-nationalistische Politiker das Hindu-Pilgerfest für eigene Zwecke nutzen, 2019 vor der indischen Parlamentswahl zum Beispiel. Die aktuelle Maha Kumbh Mela, also die grosse Kumbh Meha, in der Stadt Prayagraj in Uttar Pradesh, ist besonders bedeutend. Denn Jupiter, Sonne und Mond stehen so günstig zueinander wie seit 144 Jahren nicht mehr. Vielleicht auch deshalb ist diese Kumbh die grösste, die es jemals gab.
Die Regierung von Uttar Pradesh und der indische Premierminister Narendra Modi, beide von der hindu-nationalistischen BJP-Partei, haben umgerechnet 570 Millionen Franken investiert – mehr, als jemals zuvor – um das Pilgerfest zum «Besten aller Zeiten» zu machen. Neue Strassen wurden gebaut, Zehntausende Zelte errichtet, Wasser-, Abwasser und Stromleitungen verlegt, Sicherheitskameras installiert. Und knapp 30 Pontons, schwimmende Brücken, damit die vielen Millionen Gläubigen sicher ans andere Ufer des gewaltigen Ganges gelangen.
Nichts als Asche: Nadu Sadhus sind die heimlichen Stars
Auf der anderen Seite, ein paar Kilometer Fussmarsch entfernt, sitzen in offenen Zelten die heimlichen Stars des Pilgerfestes, die Naga Sadhus. Das sind Kriegermönche, die allem Weltlichen entsagen und als sichtbares Zeichen dafür ihren nackten Körper mit Asche bedecken. Auch Mahant Gyangiri trägt nichts auf dem Körper, als Asche und ein Amulett.
Die Asche heilt den Körper und bedeutet Segen von Gott Shiva.
Er habe sich schon mit elf Jahren für das heilige Leben entschieden, erzählt der heute 67-Jährige, Kautabak kauend. Gyangiri kauert im Yoga-Sitz neben einem kleinen Holzfeuer. Er streicht zur Begrüssung etwas Asche auf die Stirn der Besucherin. «Die Asche heilt den Körper und bedeutet Segen von Gott Shiva», erklärt er. Shiva ist einer der Hauptgötter des Hinduismus.
Doch der Segen hat seinen Preis: Man möge Butterschmalz oder Geld spenden, fordert der heilige Mann. Und vielleicht noch eine Kokosnuss. Auch heilige Männer müssen schliesslich über die Runden kommen.
Die Kriegermönche leben sonst im Wald oder im Himalaya
Wie die meisten Naga Sadhus lebt auch Mahant Gyangiri normalerweise tief im Wald oder in den Bergen des Himalaya. Nur zur Kumbh Mela macht er eine Ausnahme, um ein Bad in den heiligen Flüssen zu nehmen.
Millionen Pilgerinnen und Pilger ziehen über das weite Gelände. Viele tragen ihre wenigen Habseligkeiten auf dem Kopf. Einige schlafen an den Ufern, andere in Zelten, wie das Ehepaar Singh aus Jammu, ganz im Norden Indiens.
Nach der Kumbh Mela gehe es weiter nach Varanasi, in die Totenstadt der Hindus. Anschliessend nach Ayodhya, sagt Frau Singh. Dort hat Premierminister Narendra Modi vor einem Jahr einen umstrittenen Hindu-Tempel eröffnet, auf den Trümmern einer Moschee. Modi hat das Ziel, Indien zu einem Hindu-Staat zu machen. Auch die Kumbh Mela soll dabei helfen. «Modi macht das sehr gut», findet Herr Singh, «Yogi auch.»
Modi und sein Parteifreund Yogi Adityanath, ein Hindu-Priester und der Regierungschef von Uttar Pradesh, sind auf der Kumbh Mela allgegenwärtig: als Pappfiguren, übergrossen Werbetafeln und Plakaten. Yogi hat sogar sein Kabinett hier tagen lassen. Es folgte ein öffentlichkeitswirksames Bad in den heiligen Fluten.
Die Verquickung von Religion und Machtanspruch stört hier keinen
Der Hardliner Yogi, berüchtigt für seinen gnadenlosen Umgang mit Muslimen und Kriminellen, gilt als einer der potenzieller Nachfolger Modis. Darum steht für beide viel auf dem Spiel. Bei der Kumbh Mela, vor ihrer Kernklientel und den Augen der Weltöffentlichkeit, sollte nichts schiefgehen. Dafür garantieren sollen die zahlreichen Polizisten und Sicherheitskameras. Eine bessere Werbeplattform gibt es so bald nicht wieder.
Die Omnipräsenz der beiden Politiker, die Verquickung von Religion und Machtanspruch, stört hier keinen – im Gegenteil. Auch unter den heiligen Männern sind die beiden prominenten Hindu-Nationalisten unumstritten. Modi selbst sieht sich von Gott gesandt.
Weitere Eindrücke aus Uttar Pradesh:
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Auch Yogi Vilasnathi ist einer der vielen heiligen Männer hier. Er ist Autor spiritueller Bücher und hat eine grosse Anhängerschar, auch in Europa. Der 70-Jährige sitzt hinter einem Verkaufstisch mit Büchern, die er selbst geschrieben hat: Anleitungen zum heiligen Leben.
Der Politiker Yogi Aditianath hat alles im Griff. Er ist auch ein König des spirituellen Lebens, verstehst du?
Vilasnathi versucht die enge Verzahnung von Politik und Religion zu erklären. «Der Politiker Yogi Aditianath hat alles im Griff. Er ist auch ein König des spirituellen Lebens, verstehst du?», sagt der studierte Computerexperte. Wie viele hier ist der Mann mit dem mächtigen Bart ganz in Orange gehüllt. Das ist die Farbe des Hinduismus und auch die Farbe des Hindu-Nationalismus. Auch Yogi Adityanath trägt Orange.
Wer sowohl ein spiritueller als auch ein politischer König sei, der mache seine Arbeit sehr gut, findet Yogi Vilasnathi. Aber nur, wer spirituell sei, verstehe, warum Yogi und Modi hierher gehörten.
Ein heiliger Mann aus Haryana stimmt ein in das Loblied: Modi habe sich dem Gebet gewidmet, sei gesegnet und habe auch die Herzen der Menschen gewonnen, sagt der Mann mit grossem Loch in den Ohrläppchen. Er werde Indien auch noch in einen Hindu-Staat verwandeln.
Mindestens 30 Gläubige sterben bei einer Massenpanik
Doch so perfekt das Spektakel inszeniert ist, eines konnten die Strippenzieher nicht verhindern: mindestens 30 Gläubige kamen bei einer Massenpanik ums Leben, 90 wurden verletzt. Modi und Yogi liessen Stunden vergehen, bis sie sich zu der Tragödie äusserten. Die Zahl der Toten könnte noch viel höher sein, vermutet die Opposition. Die findet: Das Desaster hätte durch besseres Management verhindert werden können.
An der Kumbh Mela ist der Vorfall nur wenige Tage später fast vergessen. Die Pilgerschar konzentriert sich wieder auf das Wesentliche: ein reinigendes Bad in den heiligen Fluten.