«Keine einzige Stimme für Frau Le Pen» – diesen Satz hat der linke Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon am Wahlabend vor einer Woche mehrmals wiederholt. Er hatte den Einzug in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich erneut verpasst – wenn auch nur knapp. Mit über 20 Prozent der Stimmen hat Mélenchons Basis in der Stichwahl in einer Woche Gewicht. Doch sie ist gespalten, wie eine parteiinterne Befragung zeigt.
Linkes Lager nicht ausschliesslich gegen Le Pen
Mélenchon hat die Stimmung an der Basis richtig eingeschätzt, dies zeigt das Resultat der Abstimmung. Zwei Drittel der Abstimmenden wollen in einer Woche nicht zur Urne gehen oder leer einlegen. Ein Drittel will Präsident Emmanuel Macron wählen – trotz allem.
Eine ähnliche Umfrage hatte Mélenchons Partei schon vor fünf Jahren gemacht. Damals war das Resultat für Macron noch etwas besser. Er war auch für Linke noch Hoffnungsträger und weniger verhasst als heute.
Wie viele von Mélenchons Anhängerinnen und Anhängern Marine Le Pen ihre Stimme geben wollen, dies lässt sich aus der Basisbefragung nicht ablesen. Denn diese Variante stand nicht zur Auswahl.
Dass Le Pen auch im linken Lager Wählerinnen und Wähler hat, ist aus der Meinungsforschung gut bekannt. Bei der linken Gewerkschaft CGT soll es zum Beispiel ein Viertel der Mitglieder sein, bei der eher sozialdemokratisch orientierten CFDT knapp ein Sechstel.
Gewerkschaften implizieren Wahlempfehlung für Macron
Dies beschäftigt die Spitzen dieser beiden grössten Gewerkschaften Frankreichs. Im Allgemeinen sind sie selten einer Meinung – doch in Bezug auf Marine Le Pen ziehen sie am selben Strick: Wenn die Chefin des Rassemblement National Präsidentin würde, wäre dies für die Arbeiterinnen und Arbeiter eine Katastrophe, warnen die beiden Gewerkschaftsführer in einem gemeinsamen Kommentar in der Sonntagszeitung «Journal de Dimanche».
Das Rassemblement National gebe sich heute zwar gemässigt. Doch unter dieser Oberfläche sei die Partei so rechts-extrem wie früher der Front national: Alles drehe sich weiterhin um die nationale Präferenz, den Grundsatz «Franzosen zuerst», den Marine Le Pen in der Verfassung festschreiben wolle. Le Pen gebe vor, dass sie die Interessen der sozial Benachteiligten vertrete. Dabei wolle sie die sozialen Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger einschränken.
Die Gewerkschaften nennen den Namen Emmanuel Macron nicht. Aber ihr Artikel in der Sonntagszeitung ist eine klare Wahlempfehlung, auch wenn sie häufig die schärfsten Kritiker des Präsidenten waren: Bei der Renten- oder Arbeitsmarktreform etwa. In seiner ersten Amtszeit hat Emmanuel Macron die Gewerkschaften oft links liegen lassen. Dies könnte sich in einer zweiten Amtszeit ändern, wenn Präsident Macron nach der Wiederwahl tatsächlich mehr Konsens sucht, wie er verspricht.