Im Coiffeursalon Al Akaber in der Altstadt von Nablus ist die Zeit stehengeblieben. Der 84-jährige Coiffeur Mohammed Salame füllt ein türkisches Kaffeepfännchen mit Wasser und stellt dieses auf einen kleinen Gaskocher am Boden. Der Salon seines Grossvaters hat die osmanische und die britische Herrschaft überlebt und auch die Schlacht von Nablus vor 20 Jahren.
Damals, 2002, explodierte in den Palästinensergebieten die Frustration über die israelische Besatzung und den gescheiterten Friedensprozess: Militante Palästinenser töteten mehr als tausend Israelis, die israelischen Sicherheitskräfte ihrerseits über dreitausend Palästinenserinnen und Palästinenser.
Für Israelis ist Nablus bis heute ein Terroristennest. Für Palästinenser ein Ort des Widerstands.
Der Coiffeur macht Kaffee für einen Mann, den er als ehemaligen Widerstandskämpfer verehrt: Nasser Guma’a kämpfte 2002 als junger Mann gegen die israelische Armee. Gegen diese hätten er und seine Mitkämpfer aber keine Chance gehabt. «Es war chaotisch, wir hatten keinen Plan. Die Israelis kamen mit Panzern, Bulldozern und Helikoptern. In der ganzen Altstadt Tod und Zerstörung», erinnert er sich.
«Unsere Politiker sind Angestellte der Israelis»
70 palästinensische Kämpfer und Zivilpersonen kamen damals in Nablus um, ebenso ein israelischer Soldat. Alles für nichts, sagt Nasser Guma’a heute.
2007 übergaben einige Hundert Kämpfer ihre Waffen an die palästinensische Fatah, die bis heute im Westjordanland regiert. Dafür gewährte ihnen Israel eine Amnestie. Seither: Stillstand, sagt der ehemalige Kämpfer resigniert. «Vor dem Scheitern des Oslo-Friedensprozesses der 1990er-Jahre hatten wir noch Hoffnung auf einen eigenen Staat. Jetzt nicht mehr.»
Es ist schlimmer denn je, wir haben keine Perspektive.
«Unsere Politiker sind nur Angestellte der Israelis,» sagt Nasser Guma’a. Er kritisiert damit, dass die palästinensische Regierung von Mahmoud Abbas seine Sicherheitspolitik eng mit den Israelis koordiniert. Diese Zusammenarbeit habe den Palästinensern nichts gebracht, im Gegenteil. «Es ist schlimmer denn je, wir haben keine Perspektive.»
«Unsere eigene Regierung stoppt uns noch vor den Israelis»
Die historische Altstadt von Nablus ist ein Ort der Geschichte, der Kirchen und der Moscheen. In den engen Gassen erinnern nur noch Heldenbilder getöteter Kämpfer an das Blutvergiessen und die Zerstörung vor 20 Jahren. Selbst die palästinensische Führung wolle sich nicht mehr an jene Zeit erinnern, sagt Sadiq Nabulsi, 45, bitter. Er wohnt in einer Gasse unweit des Coiffeursalons.
Auf seinem Handy zeigt er einen Fernsehbeitrag von damals, in dem er schwer verletzt auf einer Bahre weggetragen wird. Die Israelis hatten in Nablus das unterirdische Kämpfer-Versteck vor seinem Elternhaus aufgespürt und alle erschossen, bis auf drei: Er ist einer der Überlebenden.
«Wenn wir uns heute gegen die israelische Besatzung wehren wollen, stoppt uns unsere eigene Regierung noch vor den Israelis», sagt er.
Unser Land wird mit jedem Tag kleiner. Und unsere Regierung tut nichts.
«Die Israelis schützen ihre Bürger. Unsere Regierung hingegen rührt keinen Finger, wenn uns Siedler angreifen oder wenn die israelische Armee willkürlich Checkpoints aufstellt und uns verhaftet oder tötet», sagt Sadiq Nabulsi.
«Unser Land wird mit jedem Tag kleiner. Und unsere Regierung tut nichts. Ihr geht es nur um Macht und Geld, sie kommt nie auf die Strasse, um zu sehen, in welchem Elend die Menschen leben.» Vom bewaffneten Kampf will Sadiq Nabulsi heute nichts mehr wissen. Er will nur, dass seine Kinder eine Zukunft haben.
«Ich träume davon, einmal Jerusalem zu sehen»
Vor einem Stoffgeschäft unterhalten sich ein paar junge Männer, die vom Alter her Nabulsis Söhne sein könnten. Ali ist 18 und steht vor den Maturaprüfungen. Für seine Zukunft sieht er schwarz.
«Ich weiss nicht, was ich studieren soll: Die Wirtschaft ist tot. Mit meinem Uni-Diplom kann ich höchstens die Wand schmücken», sagt Ali.
Der 26-jährige Hamsa stimmt ihm zu. Das Leben sei besonders für junge Menschen sehr schwierig; hohe Lebenshaltungskosten, Arbeitslosigkeit und keine Bewegungsfreiheit. «Ich träume davon, einmal Jerusalem zu sehen», sagt Hamsa. «Aber die Israelis lassen uns nicht passieren. Unsere Gesuche lehnen sie ohne Begründung ab.»
Dabei liegt Jerusalem nur knapp 50 Kilometer Luftlinie von Nablus entfernt, jedoch hinter der Sicherheitsmauer, die Israel nach der zweiten Intifada errichtet hat.
Die jungen Männer bedauern, dass Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas letztes Jahr die Wahlen abgesagt hat. Es wären die ersten seit 16 Jahren gewesen. Mehr dazu sagen wollen sie jedoch nicht. «Die Politik macht uns nur Kopfschmerzen», sagt Hamsa.
Eine Gruppe junger Frauen – gleich daneben – will von Politik ebenfalls nichts wissen. Aber auch sie klagen über den politischen Stillstand: Dieser verhindere die Entwicklung der palästinensischen Gesellschaft, sagt Laila, die Medizin studieren will.
«Wir halten uns alle an einem kleinen Funken Hoffnung fest. Aber wir Mädchen müssen nur schon um unsere Ausbildung kämpfen, denn noch immer ist hier die vorherrschende Meinung, dass Frauen zuhause bleiben sollen. Das müssen wir zu verändern versuchen.»
Hinter vorgehaltener Hand sagen viele Junge: Es sei Zeit, dass der 87-jährige Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und seine alte Garde abtreten. Für Tawfiq Tarawi, der selbst zur alten Garde gehört, sind der Stillstand und die Hoffnungslosigkeit in den Palästinensergebieten nicht die Schuld der ergrauten Herren in der Regierung.
Der 73-jährige Fatah-Politiker war früher ein Vertrauter Yassir Arafats, später Chef des palästinensischen Geheimdienstes, bis ihn Mahmoud Abbas Ende 2008 ersetzte. «Nicht wir Palästinenser sind das Problem. Die Welt hätte schon lange eine Lösung für diesen Konflikt finden können.» Stattdessen drängten Israel und die Welt die Palästinenser seit dem Scheitern des Friedensprozesses in eine Ecke.
«Die Welt nimmt in Kauf, dass die Palästinenser wieder explodieren»
«Eines Tages werden die Palästinenser explodieren – mit Auswirkungen auf die ganze Welt,» sagt Tarawi fast schon drohend. Auch dafür, dass die versprochenen Neuwahlen letztes Jahr abgesagt wurden, gibt er den Israelis die Schuld – weil sie Wahlen im mehrheitlich palästinensischen Ostjerusalem nicht hätten erlauben wollen.
Selbstkritik ist nicht seine Sache, ebenso wenig Demokratie nach westlichem Muster. «Wahlen sind nur ein Produkt der Demokratie. Und sie bringen das Schlechteste, nicht das Beste im Menschen hervor», sagt Tawfik Tarawi.
Die Welt hätte schon lange eine Lösung für diesen Konflikt finden können.
Die letzten palästinensischen Wahlen, 2006, gewann die islamistische Hamas und nicht die weltlichere Fatah. Der Westen habe das demokratische Wahlresultat jedoch nicht akzeptiert. Und seither bemühe sich die Welt auch nicht mehr ernsthaft um eine Lösung des Nahostkonflikts.
«Die Welt schaut zu, wie die Palästinenserinnen und Palästinenser die Hoffnung verlieren und nimmt in Kauf, dass sie eines Tages wieder explodieren.»