Worum geht es? Zurzeit scheint Europa von einer Streikwelle erfasst worden zu sein. In Italien will das Tankstellenpersonal für 24 Stunden streiken, ab Dienstagabend. In Frankreich demonstrierten am vergangenen Samstag Tausende gegen die geplante Rentenreform. In Berlin am Hauptstadtflughafen ist für Mittwoch ein Streik bei den Bodenverkehrsdiensten, der Flughafengesellschaft und der Luftsicherheit angekündigt, in Portugal war ebenfalls ein Streik beim Kabinenpersonal der Fluggesellschaft TAP angesagt. Er wurde nun abgesagt, da ein Vorschlag der Unternehmensleitung angenommen wurde.
Wieso streiken ausgerechnet jetzt viele Angestellte? «Es ist kein Zufall, dass zurzeit so viele Leute streiken. Es ist eine übergeordnete Entwicklung», sagt Tobias Straumann, Wirtschaftshistoriker an der Uni Zürich. Es gebe zwei Hauptgründe dafür: Die hohen Inflationsraten führen zu einem hohen Reallohnverlust, wenn sich die Arbeiter nicht wehren. Die Angestellten befinden sich zweitens in einer guten Position, denn so Straumann «die Wirtschaft befindet sich in einer sehr guten Phase, sie ist eigentlich schon überhitzt.»
Haben die Arbeitnehmenden aufgrund der Inflation weniger Geld? «Inflationsphasen kommen immer überraschend», so Straumann. Bis sich die Löhne und die Preise angepasst hätten, dauere es eine Weile. Zuerst würden die Preise angehoben und mit einer Verzögerung erst die Löhne. Daraus resultiere oft Kaufkraftverlust, wenn man sich nicht wehre.
Wieso hat die Pandemie eine überhitzte Wirtschaft ausgelöst? In den Coronajahren wurde alles eingefroren, auch Investitionen wurden vernachlässigt und die Leute haben weniger Geld ausgegeben. Jetzt plötzlich werde überall investiert, viel wird konsumiert. Das führt zu diesem ausgetrockneten Arbeitsmarkt.
Warum ist die Transportbranche so aktiv bei den aktuellen Streiks? Strauman sieht zwei mögliche Gründe. Zum einen sei diese Branche schon länger privatisiert oder teilprivatisiert worden. Das heisst, sie habe weniger Spielraum, den Teuerungsausgleich auszurichten, wie die öffentliche Hand. In der Schweiz zum Beispiel hat die öffentliche Hand ohne grössere Verhandlungen den Teuerungsausgleich gegeben. Zum zweiten ist die Transportgewerkschaften seit langer Zeit gut organisiert. Sie sind stark aufeinander angewiesen und kennen sich gut. Sie wissen, dass sie enorme Machtmittel in der Hand haben, sie können mit relativ wenig Massnahmen die ganze Wirtschaft lahmlegen.