Den Anfang nahm diese Geschichte am Freitagabend in einer Sendung des rechtspopulistischen Privatsenders Sky News zum Thema Islamismus. Der stellvertretende Vorsitzende der konservativen Tory Partei, Lee Anderson, sagte dort, der Bürgermeister von London, Sadiq Khan, habe seine Stadt nicht im Griff.
Der Grund dafür: er sei am Gängelband seiner muslimischen Kumpels. Deshalb würde der Muslim und Labourgenosse Khan die propalästinensischen Proteste in London seit Wochen gewähren lassen.
Die Äusserung kostete Lee Anderson mittlerweile sein Amt. Premierminister Rishi Sunak hat sich bereits am Wochenende gegenüber Medien von seinem Parteikollegen distanziert: «Gerade Politikerinnen und Politiker sollten solche Aussagen vermeiden. Worte haben eine Wirkung. Sie können verletzen und im schlechtesten Fall neue Konflikte entzünden.» Deshalb sei Lee Anderson aus der Fraktion ausgeschlossen worden. In Krisenzeiten müsse man seine Worte sorgfältig abwägen.
Diskussion lässt Tories nicht los
Mit dieser sibyllinischen Intervention war die Angelegenheit für den Premierminister und seine Regierungspartei jedoch nicht ausgestanden. Gerade Tories im Norden Englands sind mit dem Rauswurf nicht einverstanden und fordern, dass Anderson umgehend rehabilitiert werde.
Schliesslich habe der Mann nur gesagt, was viele denken, meint zum Beispiel die konservative Hardlinerin Suella Braverman. In einem Artikel im konservativen «The Daily Telegraph» behauptet die frühere Innenministerin gar, das ganze Königreich sei mittlerweile von Islamisten und Antisemiten unterwandert.
Der konservative Parlamentarier Paul Scally ging gestern noch einen Schritt weiter. Einzelne muslimische Quartiere in London oder Birmingham seien für normale Leute mittlerweile No-Go-Zonen, sagte er in einer Talksendung.
Für den Bürgermeister von London, Sadiq Khan, müsse man mit solchen Äusserungen vorsichtig sein. Denn: «Seit dem Ausbruch des Krieges im Nahen Osten am 7. Oktober hat der Antisemitismus, aber eben auch die Islamophobie in Grossbritannien deutlich zugenommen. Ich verurteile beides.»
Rechtspopulisten wie Nigel Farage hätten bis heute nicht einmal den Sprung ins Parlament geschafft. Umso bedenklicher sei der jüngste Eklat, sagte der frühere Vorsitzende der konservativen Partei, Lord Chris Patten, gegenüber der BBC: «Solche Kulturkämpfe beschädigen die politische Diskussionskultur und lenken insbesondere von den wahren Problemen ab.»
Gefährlich werden politische Debatten, wenn sie auf Rasse, Ethnie, Hautfarbe oder Religion abzielen.
Debatten über heikle Themen könne man nicht verbieten. Aber: «Man sollte sie in einem moderaten und zivilisierten Ton führen. Im Wissen, dass es Mitmenschen gibt, deren Gefühle mit bestimmten Äusserungen verletzt werden können», so Patton. «Gefährlich werden politische Debatten, wenn sie auf Rasse, Ethnie, Hautfarbe oder Religion abzielen. Es sind Vereinfachungen und Pauschalisierungen, welche unser Zusammenleben beschädigen und durch die sozialen Medien noch verstärkt werden.»
Politische Dramen gehören in Westminster zum ortsüblichen Tagesgeschäft. Sie verpuffen meist innerhalb Wochenfrist. Beim jüngsten Streit scheint es sich jedoch um einen Ausläufer des Gaza-Konflikts zu handeln, der auch die politische Landschaft im Vereinigten Königreich nachhaltig vergiften könnte.