Zu feiern gibt es für Rishi Sunak nach einem Jahr im Amt des britischen Premierministers nur wenig. Denn in Grossbritannien stehen bald Neuwahlen an und in Umfragen hinken Sunak und seine konservativen Tories der linken Labour-Partei hinterher. Der in London lebende Journalist Peter Stäuber weiss mehr über die Probleme, mit denen Sunak seit Amtsantritt kämpft.
SRF News: Wie hat Rishi Sunak seine Aufgabe als Premier bislang gemeistert?
Peter Stäuber: Seine Amtszeit verlief nicht besonders glücklich. Zwar hat er einige Erfolge vorzuweisen – etwa die Verbesserung des Verhältnisses zur EU nach dem Brexit oder eine etwas weniger chaotischere Politik in Downing Street.
Sunak hinterlässt einen eher schwachen Eindruck.
Allerdings sorgt Sunak bei der Bevölkerung für nur wenig Begeisterung. Seine Zustimmungswerte sind eher schlecht, und er scheint keine Ahnung zu haben, wie er das Land auf Vordermann bringen könnte. Insgesamt hinterlässt er einen eher schwachen Eindruck.
Sunaks Tories liegen laut Umfragen klar hinter Labour. Warum können Sunak und seine Partei die Wählerinnen und Wähler nicht überzeugen?
In Grossbritannien ist seit 2010 eine konservative Regierung an der Macht – und inzwischen präsentieren sich im Land überall Probleme und Krisen: Im nationalen Gesundheitsdienst NHS, im öffentlichen Verkehr, bei der Infrastruktur, beim Service public, es gibt eine Wohnungsnot, zudem gibt es wegen des Brexits akute Personalmängel in Bereichen wie der Landwirtschaft oder der Gastronomie.
Die Menschen machen die Tory-Politik der vergangenen 13 Jahre für die Missstände im Land verantwortlich.
Für die vielen Missstände machen immer mehr Menschen die Tory-Politik der vergangenen 13 Jahre verantwortlich. Das fällt auch auf Sunak zurück – auch wenn er erst seit einem Jahr im Amt ist.
Weshalb kann Sunak auch die Tory-Wählerinnen und -Wähler nur schwer von sich selber überzeugen?
Sunak geht nicht gern mit den Wählern auf Tuchfühlung. Anders als seinem Vor-Vorgänger Boris Johnson fehlt ihm das Charisma. Sunak ist eher trocken im Umgang. Auch wirkt er zuweilen ungehalten, wenn er von den Medien zur Rede gestellt wird oder sich schwierigen Fragen stellen muss.
Sunak ist der reichste Premierminister, der Grossbritannien je regiert hat.
Hinzu kommt, dass er eine Regierung anführt, die insgesamt unbeliebt ist im Volk. Vor allem aber wirkt Sunak etwas abgehoben – er stammt aus einer reichen Familie, ist der reichste Premierminister, der Grossbritannien je regiert hat. Gerade in schlechten Zeiten wie jetzt haben deshalb viele Wählerinnen das Gefühl, ein solcher Premier verstehe ihre Alltagsprobleme nicht.
Kann Sunak bis zum nächsten Wahltermin – spätestens Anfang 2025 – das Steuer noch herumreissen?
In den letzten Jahren hat es in der britischen Politik einige Überraschungen gegeben – deshalb ist es schwierig, heute eine gültige Aussage zu machen. Doch derzeit sieht es kaum danach aus, als ob es Sunak noch schaffen könnte. Seine Parteitagsrede Anfang Oktober hätte ein Neustart sein sollen: Er präsentierte sich als Anführer des Wandels und versuchte, etwas Schwung in seine Amtszeit zu bringen.
Unter den Abgeordneten der Tories herrscht so etwas wie Titanic-Stimmung.
Doch die kurz darauf abgehaltenen, für die Tories verlorenen Ersatzwahlen zeigen, dass das offensichtlich nicht funktioniert hat. Es müsste schon etwas sehr Drastisches passieren, dass sich die Konservativen noch aus ihrem Loch herausarbeiten könnten. Hinzu kommt: Aus dem Innern der Tory-Partei hört man, dass die Stimmung unter den Abgeordneten äusserst schlecht sei und kaum jemand mehr an einen Wahlsieg glaubt. Es herrscht so etwas wie Titanic-Stimmung.
Das Gespräch führte Marc Allemann.