Es ist nicht ungefährlich, als libyscher Journalist ohne staatliche Erlaubnis mit ausländischen Medien zu sprechen. Das Risiko, als Spion verfolgt zu werden, ist real. Wenn Ahmed über die Stimmung im Land spricht, so tut er das deshalb anonym.
Er erzählt, wie die Menschen in Libyen genug haben von den Regierungen, die es seit der Revolution von 2011 nicht geschafft hätten, den Alltag zu verbessern. Dass die Leute die stundenlangen Stromausfälle satthätten. Dass es in Apotheken kaum Medikamente zu kaufen gebe. Und vom Benzinmangel im erdölreichen Land.
Ahmed berichtet von Korruption und Intransparenz in der Regierung, im Parlament, überhaupt in staatlichen Institutionen, und von den Repressionen gegenüber unabhängigen Medienschaffenden.
Zu viele offene Fragen
Ahmeds Blick auf die Wahl vom 24. Dezember ist denn auch kein optimistischer. «Wenn diese Wahl wirklich stattfindet, wird sie weder frei noch fair sein.» Zu vieles ist noch offen. Da ist etwa die Frage, wie ein Wahlkampf aussehen soll, wenn Kandidierende wegen der prekären Sicherheitslage nicht in andere Landesteile reisen können.
Und da ist vor allem auch der Streit zwischen dem Parlament im Osten und dem sogenannten hohen Staatsrat im Westen um die Rahmenbedingungen des Urnengangs. Dieser Streit gipfelte vorerst in der Verschiebung der Wahl. Die Abgeordneten sollen nicht wie der Präsident am 24. Dezember bestimmt werden, sondern später.
Das letzte Wort in der Sache ist noch nicht gesprochen. Doch auch das Gesetz zur Präsidentenwahl ist umstritten. Es sieht vor, dass auch Politiker und Militärs kandidieren dürfen, wenn sie ihr Amt drei Monate vorher niedergelegt haben. Verlieren sie, dürfen sie in ihr Amt zurück.
Umstritten sind aber nicht nur die Wahlgesetze. Es gebe auch keine verfassungsrechtliche Basis, die kläre, wie die Macht des Präsidenten ausgestaltet sein soll, sagt Tarek Megerisi, Libyen-Spezialist des European Council on Foreign Relations. Unter den Umständen sei das Risiko gross, dass Verlierer ihre Niederlage nicht akzeptierten.
Das könnte die Spaltung des Landes erneuern und zu einem weiteren blutigen Konflikt führen, glaubt Megerisi. Dennoch drängen die UNO und diverse westliche Länder auf diese Wahl. Sie forcieren sie geradezu.
UNO und Europa wollen Wahl
Das sei ein Fehler, sagt Megerisi. «Dass es beim Wahlgesetz keinen Konsens gibt, sehen sie bloss als schwieriges Detail. Sie tun es ab mit Phrasen wie ‹ein Land wie Libyen wird nie perfekte Wahlen haben›.» Er halte es aber für äusserst wichtig, dass die Wahlen korrekt durchgeführt würden.
Denn: «Es gab bereits Urnengänge, bei denen Zweckmässigkeit über Integrität stand. Das Ergebnis war Spaltung und Stagnation sowie ein Bürgerkrieg.» Der Libyen-Spezialist befürchtet, dass man dieselben Fehler wiederhole.
Diese Wahl durchzuführen ist immer noch besser, als gar keine Wahl zu haben.
Doch der Druck, Erfolg zu haben, ist gross. «Die Libyen-Frage birgt für die Europäer ein doppeltes Risiko, und für Länder wie die Türkei und Russland einen potenziell noch grösseren Nutzen», so Megerisi. Wenn die UNO und die Europäer mit den Wahlen scheiterten und Libyen zurück in einen Krieg trieben, übergäben sie die Initiative diesen Ländern.
Russland und die Türkei haben Truppen vor Ort und seien fähig, eine Konfliktzone so zu dominieren, wie es die Europäer nicht könnten. Das schaffe wieder neue Probleme im Land und auch in der ganzen Region. Megerisi plädiert deshalb dafür, die Wahlen zu verschieben. Und was sagt Journalist Ahmed? «Ich bin nicht optimistisch. Aber diese Wahl durchzuführen ist immer noch besser, als gar keine Wahl zu haben.»