Michael Fanone war schon vor dem 6. Januar 2021 ein erfahrener Polizist. Der hartgesottene Drogenfahnder hat in den Strassen von Washington viel gesehen. Aber nicht das: Als das Kapitol gestürmt wird, findet er sich in einem brutalen Nahkampf mit tausenden wütenden Trump-Anhängern wieder.
Drinnen, im Kongress, soll die Wahl von Joe Biden zum Präsidenten besiegelt werden. Der Mob will das mit Gewalt verhindern. Donald Trump behauptet, er habe die Wahl von 2020 nur verloren, weil es zu massivem Wahlbetrug gekommen sei.
Irgendwann wird Fanone in die Menge gezerrt. Er wird verprügelt, mit Stromstössen malträtiert und beinahe mit der eigenen Dienstwaffe umgebracht. Er erleidet einen Herzinfarkt, eine Hirnverletzung und ein tief sitzendes Trauma. Fünf seiner Kollegen sterben: einer an den Folgen des Kampfes, vier weitere nehmen sich später das Leben.
Ein Kampf um die Deutungshoheit
Fanone und seine Kolleginnen und Kollegen müssen erleben, wie republikanische Politiker den Sturm des Kapitols kleinreden. Er erzählt von Abgeordneten, die sich weigerten, ihm die Hand zu reichen oder die gegen einen Orden stimmten, den der Kongress den Einsatzkräften verleihen sollte.
Ich bekam Dutzende Anrufe von Kollegen, die sehr, sehr wütend waren.
«Ich erinnere mich speziell an den Abgeordneten Andrew Clyde», sagt Fanone. Dieser habe im Fernsehen den Sturm auf das Kapitol als normalen Touristenausflug bezeichnet. «Ich bekam Dutzende Anrufe von Kollegen, die sehr, sehr wütend waren.»
Michael Fanone gibt dieser Wut eine Stimme: Er gibt Interviews, spricht vor einer Untersuchungskommission. Fanone wird berühmt – mit seinem bärtigen Gesicht, mit seinem eindringlichen Blick, mit den auffälligen Tattoos am Hals, seiner ehrlichen, ungeschminkten Art.
Ich habe Trump seinen Bullshit abgekauft, dachte, er sei für die Polizei.
Der 42-Jährige macht kein Geheimnis daraus, dass er Donald Trump 2016 wählte: «Ich habe Trump seinen Bullshit abgekauft, dachte, er sei für die Polizei. Die Rhetorik der Demokraten gegen die Polizei hielt ich für gefährlich.» Heute ist das anders. Michael Fanone sagt, er habe schon am Tag nach dem Sturm aufs Kapitol gewusst, dass Trump «moralisch und ethisch verantwortlich» sei.
Die Untersuchungskommission zum 6. Januar 2021 habe dann noch mehr zutage gefördert: «Trump wollte das Volk betrügen, er log über das Wahlresultat, sein Umfeld koordinierte mit rechtsextremen Gruppen. Das führte zur Gewalt.» Hunderte der Angreifer hat die Justiz schon angeklagt. Das reiche nicht, sagt Fanone: «Trump sollte der Prozess gemacht werden.»
Held und Hassfigur
Für viele ist Michael Fanone ein Held. Für die rechtsextreme Szene ist er eine Hassfigur. Drohungen und Belästigungen gehören jetzt zu seinem Alltag. Einige seiner Kollegen werfen ihm vor, er suche bloss Aufmerksamkeit. Und von der eigenen Polizeigewerkschaft fühlt Fanone sich im Stich gelassen.
Bis heute hätten seine Kolleginnen und Kollegen nicht die angemessene Anerkennung für ihren Einsatz am 6. Januar erhalten. Michael Fanone quittierte seinen Dienst, nach rund 20 Jahren.
Ein Buch für die Demokratie
Jetzt hat er ein ungeschminktes, ehrliches Buch über das Erlebte geschrieben. «Extreme Ideologien auf beiden Seiten sind gefährlich, ja», antwortet Fanone auf die Frage, welche Hauptbotschaft das Buch habe. «Aber es ist die Gleichgültigkeit, die die Demokratie erledigen wird.»
Dem Grossteil der amerikanischen Bevölkerung sei es egal, dass die Demokratie in Gefahr sei, findet er. Und so ist aus dem Polizisten Michael Fanone eine Art Demokratieaktivist geworden.