«Willkommen bei unserer Revolution», ruft Hassan al-Balla. Mit Dutzenden anderen Sudanesinnen und Sudanesen schreitet er einem Auto mit laut dröhnender Musik hinterher durch die Menschenmassen. Einige hüpfen, tanzen, singen in der Nachmittagshitze.
Wie so viele hier hat der 45-jährige Taxifahrer eine sudanesische Flagge umgebunden. Denn die Revolution sei noch nicht vorbei: «Wir brauchen eine Zivilregierung. Darum sind wir hier.»
Die Armee markiert Präsenz
Auch fast zwei Wochen nach dem Putsch ist das Militär omnipräsent in Khartum. Überall stehen Pick-ups mit bewaffneten Soldaten, auch auf dem Areal der Protestierenden. Die Macht liegt klar in der Hand des Militärs.
Ich habe den Terror als Kind mit eigenen Augen gesehen. Noch heute fällt es mir schwer, darüber zu sprechen.
Auf einer Eisenbahnbrücke sitzen junge Männer und schlagen mit Steinen den Takt. 24 Stunden am Tag, in Schichten, um die Demonstrierenden zu motivieren, damit sie nicht aufgeben und müde werden. Zwar haben die Proteste vor dem Armeehauptquartier innerhalb weniger Tage Langzeitherrscher al-Baschir und dessen Nachfolger Ibn Auf von der Macht weggebracht.
Aber das reicht nicht. Zu viel sei passiert in den dreissig Jahren Diktatur, sagt der Englischstudent Eiz-Aldeen Yaqoub: «In Darfur wurden so viele Menschen umgebracht. Mein Vater war einer von ihnen. Ich habe den Terror als Kind mit eigenen Augen gesehen. Noch heute fällt es mir schwer, darüber zu sprechen.»
Mindestens 300'000 Menschen kamen im andauernden Konflikt in Darfur ums Leben. Wegen seiner Rolle dabei liegt seit gut zehn Jahren ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Omar al-Baschir vor, den gestürzten sudanesischen Ex-Präsidenten.
Die Versprechen der alten Garde
«Der Tag an dem Omar al-Baschir an den ICC ausgeliefert wird, wird einer der besten Tage meines Lebens sein», sagt Yaqoub. Der Militärrat behaupte, Baschir sei hier in Khartum im Gefängnis und er werde hier vor Gericht gebracht. «Aber ich glaube denen nicht, denn die Mitglieder des Militärrats sind Teil des alten Baschir-Systems», sagt der 23-Jährige aus Darfur.
Am Abend wird die Revolutionsmeile jeweils zum Volksfest. Familien, Junge, Alte strömen hierher, überall in den Nationalfarben geschminkte Gesichter. Musik, Strassenkunst, Tanzen. Es wäre Chilbi, wenn nicht so viele Männer in Militäruniform in den Massen zu sehen wären.
Auf einer grossen Bühne beantworten Vertreter der «Coalition for Freedom and Change» die Fragen der Bevölkerung. Die Koalition hatte die Proteste seit Dezember organisiert. Sie hat das Vertrauen der Bevölkerung. Darum hört auch die 30-jährige Hind Abdullawehed gespannt zu.
«Es ist mir klar, dass wir nicht vom einen auf den anderen Tag das Regime loswerden. Das war dreissig Jahre lang an der Macht. Deswegen brauchen wir eine Übergangsphase von vier Jahren, um all die Insititutionen vom tiefverwurzelten Regime zu befreien.»
Seit Januar nimmt die Zahnärztin an den Protesten teil, seit bald drei Wochen jeden Abend. Nicht mehr kommen wird sie erst wenn die Forderungen des Volkes erfüllt sind: «Als erster Schritt die Zivilregierung. Dann kann ich nach Hause gehen. Und dann die Zivilregierung genaustens beobachten. Dass sie hält was sie verspricht. Wir werden sie nicht aus den Augen lassen.»
Denn das hat der Aufstand die Sudanesinnen und Sudanesen gelehrt: Wachsam sein – und nicht aufzuhören für ihre Rechte zu kämpfen.