Südkorea gilt bei der Bekämpfung des Coronavirus als vorbildlich. Nachdem Neuinfektionen wochenlang rückläufig waren und die Massnahmen wieder gelockert wurden, erlebt das Land nun einen Rückschlag. Ein einziger Mann steckte bei einer Tour durch diverse Nachtclubs Dutzende Menschen mit dem Coronavirus an. Die Hintergründe kennt Martin Aldrovandi.
SRF News: Was ist in Südkorea genau passiert?
Martin Aldrovandi: Südkorea hatte bekanntlich keinen Lockdown. Das Land reagierte zu Beginn der Pandemie sehr rasch und etablierte schnell ein flächendeckendes Coronatest-Regime.
Viele haben Angst, sich zu melden, weil sie sich damit als schwul oder lesbisch outen würden.
Jetzt beschäftigt Südkorea aber der Fall eines Mannes, der positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurde. Zuvor hatte er mehrere Clubs und Bars in einem grossen Ausgehviertel in Seoul besucht, das vor allem auch bei Schwulen und Lesben beliebt ist.
Seither versuchen die Behörden, alle Personen zu eruieren, die zur betreffenden Zeit in diesen Lokalen waren. Dabei geht es um tausende Personen. Viele potenziell Betroffene haben aber Angst, sich selber zu melden, weil sie sich damit ja quasi als schwul oder lesbisch outen würden.
Wieso ist die Angst vor einem Outing so gross?
Südkorea ist ein sehr konservatives Land, vor allem was Schwule, Lesben oder Transgender-Menschen angeht. Es gibt starke christliche Gemeinden, die sehr konservatives Gedankengut verbreiten. Sie gehen auch mal auf die Strasse, um gegen sexuelle Minderheiten zu protestieren.
In den LGBT-Kreisen herrscht deshalb Angst vor Repressionen. Auch vor ihren Familien oder Arbeitgebern haben sich viele schwule oder lesbische Südkoreaner und Südkoreanerinnen nicht geoutet. Entsprechend kompliziert ist die Lage jetzt mit diesem Superspreader-Fall.
Südkorea ist ein sehr konservatives Land, vor allem was Schwule, Lesben oder Transgender-Menschen angeht.
Wie reagiert die Öffentlichkeit in Südkorea auf den Virus-Ausbruch?
Die Medien berichten gross über den Fall, von einigen Clubgästen veröffentlichten sie auch die Identität. In den sozialen Medien werden LGBT-Menschen jetzt angegriffen und kritisiert – zum Teil mit sehr harschen Ausdrücken.
Muss Südkorea jetzt mit einer zweiten Infektionswelle rechnen?
Das wird befürchtet. Allerdings versuchen die Behörden, eine zweite Welle so gut wie möglich zu verhindern. Sie suchen aktiv nach den möglicherweise betroffenen Personen. Auch mussten alle Clubs in Seoul inzwischen schliessen, einige Firmen führten erneut Homeoffice ein. Zudem wurde die Öffnung der Schulen als Vorsichtsmassnahme um eine Woche verschoben.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.