SRF News: Will Wladimir Putin mit der Türkei und dem Iran nun einen Frieden zu seinen Bedingungen aushandeln?
Pascal Weber: Frieden wird es in Syrien nicht so schnell geben. Und er lässt sich schon gar nicht einfach so von Sotschi aus diktieren. Aber mit Russland, der Türkei und dem Iran treffen sich tatsächlich diejenigen Akteure, die sich in Syrien als «Sieger» fühlen dürfen. Wobei der grösste Gewinner nicht Russland ist, sondern der Iran.
Warum ist der Iran der grösste Gewinner?
Wir müssen uns nur das aktuelle Beispiel im Libanon anschauen: Die fast schon panischen Aktionen Saudi-Arabiens, welche gegen die schiitische Hisbollah-Miliz und den Iran gerichtet sind. So kann man verstehen, wie sehr der Iran den Wettstreit zwischen den islamischen Regionalmächten momentan zu seinen Gunsten entschieden hat.
Der Iran beherrscht mit dem «Sieg» in Syrien die Landroute von Teheran über Bagdad und Damaskus bis nach Beirut und Latakia, der Hafenstadt in Syrien. Künftig ist Politik ohne Konsultationen mit dem Iran weder im Libanon noch im Irak oder in Syrien möglich.
Hat der Iran auch Schwachpunkte?
Der Iran hat zwei Schwächen: Erstens ist das Land international weiterhin relativ isoliert. Und zweitens beherrscht es den Himmel nicht. Um diese Schwachpunkte auszugleichen, braucht der Iran die Russen: Zum einen im UNO-Sicherheitsrat, zum andern als Luftwaffe.
Allerdings keimen in diesem weitreichend Sieg Irans in Syrien, aber auch im Irak, bereits die nächsten Konflikte:
Die Sunniten, welche die grosse Mehrheit in der islamischen Welt ausmachen, fühlen sich von den Schiiten an den Rand gedrängt. Die Saudis etwa versuchen mit ihrer aggressiven Politik im Libanon oder mit ihrem ziellosen, jegliche humanitären Regeln ausser Acht lassenden Krieg im Jemen, diesen iranischen Einfluss einzudämmen. Auch die erfolglose saudische Wirtschaftsfehde gegen Katar zielt darauf ab. Ein nachhaltiges Konzept lässt sich in diesen Aktionen Riads aber nicht erkennen. Vielmehr wird die Region durch diese Hauruck-Übungen nur weiter destabilisiert. Zumal auch die USA unter Präsident Donald Trump und Israel darauf aus sind, den Einfluss Teherans zurückzudrängen.
Welche Rolle spielt denn Russland noch in Syrien?
Russland will sich als Ordnungsmacht im Nahen Osten etablieren. Aber dazu fehlt den Russen die «Soft Power», die es dafür braucht. Und auch militärisch kann Russland die USA noch lange nicht ablösen.
Aber Russland hat sich als Macht etabliert, gegen deren Willen tatsächlich nichts geht. Russland sind zwar Grenzen gesetzt, wenn es ums Gestalten geht. Doch mit den Militärbasen in Syrien wird es jede Politik unterbinden können, die russischen Interessen zuwiderläuft. Zudem wird Russland wirtschaftlich von den mit Syrien als Gegenleistung zur militärischen Unterstützung abgeschlossenen Ölförderungs-Abkommen profitieren.
Wie könnte eine mögliche Nachkriegsordnung in Syrien aussehen?
Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar sagen. Natürlich zeichnen sich diverse Einflusszonen ab: Russland über seine Militärbasen und den wirtschaftlichen Einfluss, die Türkei im Nordwesten in der Region rund um Idlib, und der Iran auf der zentralen Ost-West-Achse zwischen irakischer Grenze und Libanon.
Aber gleichzeitig bleiben noch viele Fragen offen: Wie lange und in welcher Form werden die USA die Kurden im Nordosten Syriens unterstützen? Wie stehen die Russen den Kurden gegenüber? Kann Russland die Türkei, welche Putin rund um Idlib in seine Politik einbinden will, im Fall der Kurden zurückbinden? Der türkische Präsident Erdogan will ja auf keinen Fall ein autonomes Rojava, das quasi-autonome Gebiet im Nordosten Syrien, das die Kurden mit Unterstützung der USA für sich geschaffen haben. Und auch was im Südwesten von Syrien geschieht, im Grenzgebiet zu Israel, ist weitgehend unklar. Und über all dem steht Assad selbst, der weiterhin verkündet, er wolle sein ganzes Land zurückerobern.
Wie mächtig ist der syrische Machthaber Assad noch zum heutigen Zeitpunkt?
Assad hat zwar den Krieg gewonnen, aber er wird kaum den Frieden gewinnen können. All die Gebiete, die er im letzten Jahr zurückerobert hat, hätte er ohne Hilfe von aussen nicht zurückgewinnen können. Es waren vom Iran ausgerüstete und geführte schiitische Milizen aus dem Libanon, aus Irak, aus Afghanistan und vielen anderen Ländern, welche zusammen mit der russischen Luftwaffe diesen Krieg für Assad gewonnen haben.
Diese Kräfte wird er weiterhin brauchen, um diese Gebiete halten zu können. Das heisst, Assad wird teilweise zum Besatzer im eigenen Land, der zur Aufrechterhaltung dieser Besatzung auf ausländische Hilfe angewiesen ist.
Das heisst wiederum, dass der Widerstand weitergehen wird, hauptsächlich wohl in terroristischer Form oder in Form eines Guerilla-Krieges. Klar scheint mir deshalb im Moment nur, dass der Krieg in Syrien in eine neue Phase übergeht. Ich bin aber nicht sicher, ob das tatsächlich schon die Endphase ist.
Da Gespräch führte Florence Fischer.