In Montreux verhandeln Russland und die USA über Syrien. Im Land selbst explodieren Bomben, wird geschossen, sterben Menschen. Einen der seltenen Einblicke ins Leben der Menschen in Syrien in diesen Tagen bekam der Journalist Kurt Pelda.
SRF: Sie sind nach sieben Monaten wieder nach Syrien gereist. Hat sich die Lage seit Ihrem letzten Besuch verschlimmert?
Kurt Pelda: Ja, die Lage hat sich ganz klar verschlimmert. Es ist nicht mehr nur ein Krieg der Rebellen gegen Machthaber Baschar al-Assad und seine Söldner. In der Nähe von Aleppo gibt es jetzt einen Zweifrontenkrieg: Einerseits kämpfen die Rebellen gegen Assads Truppen, und gleichzeitig, an einer zweiten Front, gegen die Dschihadisten der Isis. Das ist eine Kampftruppe aus dem Irak mit sehr vielen ausländischen Gotteskriegern. Die Isis sagt zwar, dass sie gegen Assad kämpfe. In Wirklichkeit kämpft sie aber mit Assads Soldaten gegen die Rebellen.
Lässt sich das so einfach sagen, oder kämpfen die Dschihadisten nicht einfach überall?
Nein, es gibt ganz klare Fronten. Es gibt Städte, die unter der Kontrolle der Dschihadisten sind. Ich habe etwa zwei Kilometer von der nächsten Stellung dieser Kämpfer übernachtet. Am Tag konnte ich ihre schwarze Fahne und die Löcher für ihre Scharfschützen sehen. Die Kriegsparteien sind alle nah aufeinander.
Hinzu kommen dann noch die Kurden, die auch in dieser Gegend kämpfen. Es gibt eigentlich vier Kriegsparteien auf einem Gebiet, dass kleiner ist als die Schweiz. Es ist also sehr kompliziert geworden.
Die Lage im Land scheint sehr unübersichtlich. War es denn überhaupt möglich, zu erkennen, wer Freund und wer Feind ist?
Das ist als Ausländer extrem schwierig. Und sogar die Syrer, die sich auskennen, können die verschiedenen Kampfgruppen oft nicht voneinander unterscheiden. Man muss lokale Führer haben, die genau wissen, die nächste Strassensperre gehört dieser Gruppe, mit der haben wir gute Beziehungen. Dann gibt es eine Strassensperre, die müssen wir umfahren, weil es da Leute hat, denen wir nicht vertrauen. Also es ist höchst unübersichtlich, selbst für Einheimische.
Wie geht es den Menschen in der Provinz, in den Dörfern, in denen Sie waren?
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Dörfer, die unter der Kontrolle dieser Dschihad-Kämpfer sind, und da ist natürlich die Situation schwierig. Es gibt zwar so etwas wie Recht und Ordnung. Dafür wird aber ganz brutal die Scharia, das religiöse Gesetz, durchgesetzt. Die Mehrheit der Dörfer sind unter der Kontrolle der Rebellen. Dort geht das Leben mehr oder weniger normal weiter. Es gibt genügend Nahrung. Es gibt aber auch Flüchtlinge, die jetzt aus Aleppo flüchten, wegen der Luftangriffe, aber zum Teil auch wegen dieser Dschihadisten.
Glauben die Menschen, mit denen Sie gesprochen haben, noch an einen Frieden in Syrien?
Nein. Im Moment sind die Leute frustriert, vor allem wegen dieses Zweifrontenkrieges. Dass sich diese Dschihadisten jetzt gegen die Rebellen gerichtet haben, war ein riesiger Schock für die meisten Menschen.
Am Anfang hatten die Rebellen und die Zivilisten diese ausländischen Dschihad-Kämpfer mit offenen Armen empfangen, um dann ein halbes Jahr später zu sehen, dass diese ihre ideologischen Ansichten mit Gewalt durchdrücken. Sie verhaften Leute – praktisch alles Leute, die in der Revolution gedient haben, aber auch Journalisten und Medienaktivisten. Das hat zu einem unglaublichen Hass gegen die Dschihadisten geführt. Dieser Hass ist mittlerweile grösser als der gegen Assad und seine Truppen.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovitsch.