Jeweils am 23. Februar feiert Russland den «Tag des Verteidigers des Vaterlands». Der Tag geht zurück auf die Anfänge der Roten Armee: 1922 führte Lenin den Gedenktag ein, der bis zum Ende der Sowjetunion 1991 einer der wichtigsten Feiertage war. Seit 2002 ist der 23. Februar wieder arbeitsfrei.
Der Feiertag für Soldaten habe inzwischen stark an Bedeutung gewonnen und sei zu einem eigentlichen «Männertag» geworden, erklärt Moskau-Korrespondent David Nauer im Gespräch.
SRF News: Wie werden die Männer heute gefeiert?
David Nauer: Traditionellerweise werden die Männer an dem Tag beglückwünscht, sei es an der Arbeitsstelle oder zuhause. Auch beim Einkaufen oder im Café kommen Frauen auf einen zu, um einen zum «Tag des Vaterlandsverteidigers» zu beglückwünschen. Manchmal erhalten die Männer ein kleines Geschenk.
Es sind Militärparaden geplant, es werden historische Schlachten nachgestellt. Vielerorts gibt es regelrechte Volksfeste.
In diesem Jahr wird vor allem von Staatsseite besonders dick aufgetragen: In diversen Städten sind Militärparaden geplant, es werden historische Schlachten nachgestellt und mancherorts sind Volksfeste organisiert. Das passt zum Zeitgeist in Russland: Das Land erlebt eine regelrechte Militarisierung. Entsprechend gross wird der Tag der Männer und der Soldaten gefeiert.
Welchen Einfluss hat Präsident Wladimir Putin auf diese Entwicklung?
Die Militarisierung der Gesellschaft – oder positiver ausgedrückt eine Stärkung der Armee und der Sicherheitskräfte – ist tatsächlich Putins Politik. Unter ihm ist auch der Sieg über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg zum wichtigsten identitätsstiftenden Ereignis der Geschichte Russlands geworden.
Putin gibt sich gern als ‹Ober-Kerl›
Putin ist oberster Befehlshaber über die Streitkräfte und er gibt sich auch gern als «Ober-Kerl». Man kennt die Fotos von ihm beim Fischen mit nacktem Oberkörper. Er geht tauchen, fliegt einen Militärjet und macht sonst wie allerlei Gefährliches. Wenn man dem russischen Staatsfernsehen glaubt, ist Putin auch ein erfolgreicher Feldherr und Oberbefehlshaber.
Wie ist die klassische Rolle des russischen Mannes in der Gesellschaft?
Es gibt tatsächlich die Vorstellung des russischen «Kerls». Der «Muschik» ist stark wie ein Bär, ihn haut nichts um. Er ist Ernährer und Beschützer seiner Frau und der Familie. Diese sehr traditionelle Vorstellung ist durch die Stärkung des Militärs in den letzten Jahren noch mehr zementiert worden. Inzwischen gibt es in Russland einen richtigen Kult um den richtigen «Muschik».
Es gibt einen Kult um den richtigen ‹Kerl›.
Wenn ich hier in Moskau etwa ins Dampfbad gehe, erlebe ich, wie die dort sitzenden russischen Männer immer mehr Dampf reinlassen, damit es immer heisser wird. Wenn ich dann mit rotem Kopf hinausrenne, weil es mir zu heiss wird, heisst es dann schon mal: «Ja, für dich Europäer ist es schon etwas heiss – du bist halt kein richtiger russischer Kerl.»
Wie ist denn die Rolle der russischen Frau?
Die Idealvorstellung von der russischen Frau ist ebenfalls sehr traditionell. Laut Umfrageergebnissen soll sie zuhause für eine angenehme Atmosphäre sorgen, nett und lieb sein zu ihrem Mann und dazu auch gut aussehen.
Es gibt recht viele beruflich erfolgreiche Frauen. Die Wirklichkeit korrespondiert also nicht unbedingt mit den Vorstellungen in der Bevölkerung.
In der Realität arbeiten aber viele Russinnen und müssen sich quasi nebenbei noch um den Haushalt und die Kinder kümmern. Laut Statistik gibt es in Russland recht viele erfolgreiche Frauen in der Arbeitswelt, vor allem im mittleren Kader sind sie stark vertreten. Die Wirklichkeit korrespondiert also nicht wirklich mit den Vorstellungen des russischen Frauenbilds in der Bevölkerung.
Die Frau arbeitet, verdient Geld, schaut zu Haushalt und Kindern. Trotzdem gibt es diesen Männerkult in Russland. Wie passt das zusammen?
Die typischen Vorstellungen von männlicher und weiblicher Rolle sind wohl in allen Gesellschaften eher theoretische Konstrukte. Die Realität ist vielfach aber komplizierter und damit eine andere, als sich das viele Männer und Frauen wünschen.
Das Gespräch führte Raphaël Günther.