Der CEO von Telegram, Pavel Durow, wurde in Frankreich verhaftet. Gemäss Medienberichten wird ihm vorgeworfen, zu wenig unternommen zu haben, um die kriminelle Verwendung von Telegram zu unterbinden. Die App habe mit den Behörden bezüglich der Bekämpfung von Menschenhandel, Betrug und sexueller Ausbeutung von Kindern nicht kooperiert. Durow ist Staatsbürger von Frankreich, Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie des karibischen Inselstaats Saint Kitts and Nevis. SRF-Redaktor Calum MacKenzie sagt, wie die russischen Medien den Fall darstellen.
Weshalb haben russische Politikerinnen und Regierungsmitglieder erbost auf die Verhaftung Durows reagiert?
Die ersten Reaktionen aus der russischen Politik und in den russischen Medien zielen darauf ab, den Westen in ein schlechtes Licht zu rücken. Sie schreiben etwa, Durow sei verhaftet worden, weil er sich für die freie Meinungsäusserung einsetze oder weil er ein russischer Unternehmer sei. Die Botschaft ist, in der EU herrsche eine willkürliche Diktatur, aber in Russland nicht – weil Durow in Russland nicht verhaftet wurde.
Warum ist Telegram in Russland so beliebt?
Die Beliebtheit von Telegram liegt an den Kanälen von verschiedenen Medien oder Einzelpersonen. Ein grosser Teil der russischen Bevölkerung konsumiert Nachrichten vor allem über Telegram. Dort sind verschiedenste Stimmen vertreten. Zum Beispiel kann man dort die oppositionellen Medien lesen, die in Russland eigentlich verboten sind. Aber es gibt auch die ultrapatriotischen Kriegsblogger, die den Krieg gegen die Ukraine fanatisch unterstützen. Und der Kreml selbst kommuniziert ebenfalls auf Telegram. Die Plattform ist für ihn zu einem wichtigen Propagandakanal geworden.
Wie steht die russische Regierung zu Telegram?
Der Kreml hat ein kompliziertes Verhältnis zu Telegram. 2018 versuchten die russischen Behörden erfolglos, die Plattform zu blockieren. Zwei Jahre später wurde das Telegram-Verbot aufgehoben. Damals kursierten Gerüchte, Durow müsse mit dem Kreml einen Deal eingegangen sein. Es ist aber bis heute unklar, wie direkt der Kreml auf Telegram Einfluss nehmen kann. Vor drei Jahren hat Telegram etwa den Wahlkampfkanal des Oppositionellen Alexej Navalny blockiert. Durows Erklärung dazu überzeugte nicht. Er schwankt zwischen Widerstand und Kooperation mit dem Kreml.
Warum lebt Pavel Durow heute in den Vereinigten Arabischen Emiraten?
Durow hatte 2006 die Plattform VKontakte gegründet, das russische Pendant zu Facebook. Als VKontakte in Russland bekannt und beliebt wurde, machten die russischen Behörden enorm Druck auf Durow – und am Ende war er gezwungen, das Unternehmen an staatsnahe Firmen zu verkaufen. Daraufhin hat er Russland verlassen und die Plattform Telegram gegründet.
Wie denkt die Bevölkerung in Russland über Pavel Durows Verhaftung?
Viele akzeptieren die Erklärung der Kreml-Medien, dass Europa es auf Durow abgesehen habe, weil er Russe ist. In gewissen Kreisen ist Schadenfreude zu spüren, weil man Durow als nicht Kreml-treu genug einschätzt. Oppositionelle betrachten Durow als Helden, der ihnen mit Telegram ein letztes bisschen Freiheit ermöglicht. Dass Frankreich ihn verhaftet hat, sehen einige von ihnen als heuchlerisch oder gar antirussisch, weil es auch westliche Unternehmer mit zweifelhaften sozialen Medien gibt. Ironischerweise deckt sich hier ihre Wahrnehmung mit dem Kreml-Narrativ.