Beim schlimmsten Anschlag in der Geschichte Ägyptens sind mindestens 305 Menschen gestorben. Laut Regierung haben 25 bis 30 islamistische Terroristen den Überfall auf eine Moschee im Norden der Halbinsel Sinai verübt. Sie reagiert hart mit Luftangriffen auf mutmassliche Terroristen-Stellungen in der Region.
SRF hat mit Journalistin Astrid Frefel in Kairo über den Anschlag gesprochen – und über die Massnahmen, die eine offenbar überforderte ägyptische Regierung ergreift.
SRF: Es war der schwerste Anschlag in Ägypten, aber nicht der erste. Warum bekommt die Armee – die zehntgrösste weltweit – die Lage nicht in den Griff?
Astrid Frefel: Das Problem im Sinai ist ein Problem mit Wurzeln, die Jahrzehnte zurückgehen. Nach der Rückgabe des Sinai von Israel 1982 hat man dieses Gebiet bewusst vernachlässigt, weil man den lokalen Beduinen nicht getraut hat. Man hat gedacht, die arbeiten immer noch mit Israel zusammen und sind nicht staatstreu. Man hat keine Investitionen dort gemacht. Es ist ein völlig vernachlässigtes Gebiet. Und in dieses Vakuum sind Extremisten gestossen.
Es gab ja bereits Anschläge in den Jahren 2004 und 2006. Und dann 2013 nach der Entmachtung der Islamisten haben diese die Vernachlässigung durch die Regierung auch als politische Motivation genommen, um ihren Kampf auszuweiten – in den letzten Jahren auch unterstützt vom IS aus Irak und Syrien. Und die Regierung hat keine andere Antwort gewusst als massiven militärischen Einsatz.
Was bedeutet der Konflikt zwischen den Extremisten und der Armee für die lokale Bevölkerung?
Vom militärischen Einsatz werden nicht immer nur Kämpfer und Militante getroffen, sondern sehr oft auch die lokale Bevölkerung. Die leidet enorm unter diesen militärischen Kampagnen. Das Resultat ist, dass es dort grosse Wut gibt. Und diese Wut ist ein Nährboden, dass es teilweise auch in der lokalen Bevölkerung Unterstützung für diese dschihadistischen Gruppierungen gibt.
Es wird viel über Entwicklungsprogramme gesprochen. Aber tatsächlich passiert nichts.
Die Beduinen auf der Sinai-Halbinsel fühlen sich von der Zentralregierung in Kairo also nicht richtig ernst genommen. Wie bekäme man diese mit an Bord?
Es ist klar, dass dort nicht nur mit Sicherheitsmassnahmen operiert werden kann, sondern es wäre ein grosses Programm an Entwicklung nötig. Man müsste diese Leute dort in diese Entwicklungsprogramme involvieren. Und das ist im Moment nicht der Fall. Es wird zwar viel darüber gesprochen. Aber tatsächlich passiert nichts.
Was sagt Ägyptens Präsident al-Sisi zu all dem?
Der Präsident sagt wie jedes Mal, man werde mit brutaler Macht reagieren. Er spricht natürlich immer auch von Rache und fordert zur Einheit auf. Tatsache ist aber, dass er bereits alle Instrumente in seiner Hand hat: Es gilt landesweit ein Ausnahmezustand. In der Region dort gibt es Ausgehverbote. Es dürfen keine Geländefahrzeuge fahren. Und trotz allem hat er es nicht geschafft, die Lage unter Kontrolle zu bringen.
Im Gegenteil. Es gab in den letzten Wochen ja auch eine geografische Ausweitung. Es gab terroristische Anschläge in der westlichen Wüste. Das heisst, wenn mit noch mehr Härte durchgegriffen wird, heisst das wahrscheinlich nichts Gutes für Menschenrechte und persönliche Freiheit für die Bevölkerung in diesem Land.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.