Venedig, der Markusplatz, die Gondeln – und Millionen von Touristen. Mit einer neuen Massnahme will Venedig die Massen in Schach halten. Touristen sollen in Zukunft drei und bald einmal zehn Euro bezahlen, um Venedig besuchen zu dürfen. Das hat das Parlament der weltberühmten Lagunenstadt am Dienstag beschlossen.
«Ein Unsinn» sagt Marco D'Eramo. Er ist Soziologe. Trotzdem kommt ihm zuerst einmal das Gesetz in den Sinn, wenn er an ein Eintrittsticket für Venedig denkt: «Üblicherweise garantieren Verfassungen das Recht, sich in seinem Land frei bewegen zu dürfen.»
Am liebsten hätten es die Venetianer, dass pro Jahr nur 5000 russische Milliardäre die Lagunenstadt besuchen und jeder von ihnen täglich 100'000 Euro ausgibt.
Und der Römer will auch in Zukunft frei und ohne Gebühr nach Venedig. Besucherströme über eine Abgabe, also nur übers Portemonnaie, zu lenken, schliesse letztlich jene aus, die über wenig Geld verfügten: «Venedig will den armen Tourismus loswerden. Etwa jene Tagestouristen, die mit einer Pet-Flasche und einem Sandwich im Gepäck anreisen.»
Warum soll es gerade die treffen, fragt sich D'Eramo, der als Soziologe und Journalist das Massenphänomen Tourismus unter die Lupe nimmt und gerne polemisert: «Am liebsten hätten es die Venetianer, dass pro Jahr nur 5'000 russische Milliardäre die Lagunenstadt besuchen und jeder von ihnen täglich 100'000 Euro ausgibt.» Die Realität aber sei eine andere.
Wolle man den Zutritt trotz juristischer und ethischen Zweifel beschränken, dann über ein System, bei dem nicht das Geld, sondern der Faktor Zeit den Ausschlag gebe. D'Eramo schlägt vor, die Besucher müssten schon im Vorfeld ein Ticket für ein ganz bestimmtes Zeitfenster buchen, allerdings gratis.
Hätten die Buchungen für einen Tag eine gewisse Höchstzahl überschritten, würden keine neuen mehr ausgestellt. Dies würde es Venedig erlauben, tatsächlich Höchstzahlen von Besucherinnen und Besuchern festzulegen und durchzusetzen.
Auch Roms Gesicht verändert sich
D'Eramo wohnt in Rom, nahe beim Kolosseum, das man von seinem Wohnzimmer aus sieht. Er weiss aus eigener Erfahrung, wie Touristen eine Stadt verändern. Noch vor zwanzig Jahren habe er ausschliesslich italienische Nachbarn gehabt. Heute seien die Hälfte der Wohnungen als Bed and Breakfast an Touristen vermietet. Die hohen Mietpreise seien hier sozusagen das Ticket, die Ewige Stadt aus dieser privilegierten Perspektive zu sehen.
D'Eramo erwähnt aber noch andere Tickets, die den Zugang zu den Städten längst regulierten. Er sagt: Vor 60 Jahren, als Jugendlicher, habe er noch freien Zugang zum Palatin, zu einem der Sieben Hügel Roms gehabt: «Heute ist der Palatin ein Museum und man muss Eintritt zahlen. Auch fürs Pantheon.» Oder in Florenz seien die grossen, berühmten Kirchen nur noch mit Ticket zu sehen. Städte so zu musealisieren sei gefährlich.
«Am Abend schliesst man Museen ab und geht heim. Solche Städte sind tot», sagt D'Eramo. Warum denn gehen die Leute dann immer noch in solche Städte? Der Soziologe erklärt's mit dem Paradox, dass viele Touristen ja gerade andere Touristen sehen wollten: «Wenn wir andere Touristen sehen, dann werten wir das als Zeichen dafür, dass dieser Ort eines Besuchs wirklich würdig ist.»
Insofern könnte das Ticket, also die Beschränkung, Venedigs Attraktivität gar noch steigern.