Anders als in Europa wird in China von den Frauen nicht erwartet, dass sie sich nach der Geburt eines Kindes rasch wieder in den Alltag integrieren. Es wird hingegen erwartet, dass sie die Regeln des Monatssitzens – mehr oder weniger streng – beachten. Und die Frauen halten sich daran, die meisten, wie SRF-Korrespondent Martin Aldrovandi sagt, und zwar auch die Städterinnen.
Die chinesische Tradition des Wochenbetts verlangt, dass die Mütter nach der Geburt eines Kindes einen Monat das Zimmer nicht verlassen, nicht lüften, nicht duschen und nicht Zähneputzen dürfen. Sie dürfen nur Ausgewähltes essen und das Smartphone sowie andere elektronische Geräte nicht benutzen. Meist stehen sie in dieser Zeit unter der Aufsicht der Schwiegermutter.
Aldrovandi hat sich mit chinesischen Frauen darüber unterhalten. «Es gibt solche, die geniessen diese Zeit. Andere fühlen sich eingeengt. Trotzdem ziehen die meisten Frauen das Monatssitzen heute noch in irgendeiner Form durch», sagt er. Es gehe dabei vor allem um die Angst vor gesundheitlichen Schäden, wenn Frauen mit der Tradition brechen.
Viele Chinesinnen glaubten, dass sich mögliche negative Auswirkungen eventuell auch erst Wochen, Jahre oder Jahrzehnte später bemerkbar machen könnten, sagt der Korrespondent.
Monatssitzen und Spa
Die moderne Version des Monatssitzens – die sich aber längst nicht alle Familien leisten können – findet in einer Institution statt, die laut Aldrovandi eine Mischung zwischen Spital, Hotel und Spa ist. Dort werden auch die Zähne geputzt und es wird geduscht. Doch auch in dieser modernen Version spielt die Schwiegermutter eine Rolle: Häufig ist sie es, die für die Schwiegertochter das Zentrum bucht.
Die Regeln des Monatssitzens werden auch ausserhalb solcher Zentren unterschiedlich streng befolgt, erzählt Aldrovandi. «In Schanghai ist eine Frau gestorben, weil sie im Hochsommer auf die Klimaanlage verzichtet und nach der Geburt einen Hitzschlag erlitten hat.» Ihr Tod sei ein grosses Thema in Chinas Medien gewesen. Viele Familien stellten trotz des Gebots, nicht zu lüften, die Klimaanlage ein, um so etwas zu verhindern, sagt Aldrovandi.
Kaltes und warme Speisen
Die traditionelle chinesische Medizin geht davon aus, dass die Mutter bei der Geburt viel Flüssigkeit verliert und viel Chi. Chi ist die Lebenskraft und die muss die Frau wieder zurückerlangen. Nach der Auffassung der chinesischen Medizin wird der Körper kälter und gerät aus dem Gleichgewicht, wenn er Chi verliert.
Es gibt deshalb die Essregeln nach der Geburt, die dem Konzept der kalten und warmen Speisen folgen. Das ist nicht zu verwechseln mit kalten oder warmen Mahlzeiten. Während dieses Monats braucht die Mutter vor allem Speisen, die als warm gelten. Das sind zum Beispiel Zwiebeln, Huhn, Ingwer, Ginseng, Knoblauch, Litschi. Zu den kalten Speisen gehören viele Früchte wie Äpfel, Birnen, Gemüse wie Spinat oder Tomaten.
Das Gebot, sich nicht zu waschen, erklärt sich Aldrovandi mit dem Alter der Tradition. Laut Quellen wird das Monatssitzen seit 2000 Jahren praktiziert. «Das Wasser war in der chinesischen Agrargesellschaft nicht so sauber wie heute und es ergab Sinn, dass man Frauen, deren Immunsystem geschwächt war, vor der Verschmutzung schützte.» Heute rieten Spitäler und medizinisches Personal aber trotz allen traditionellen Geboten zur Hygiene, ergänzt Aldrovandi.