Die Nachricht vom jungen ehemaligen Soldaten, der sich aus Verzweiflung selbst zu verbrennen versucht hat, geht Ariel Bernstein nahe. «Er und ich leisteten unseren Dienst im gleichen Krieg», sagt der 27-Jährige. Die beiden fast gleichaltrigen Veteranen kämpften – in unterschiedlichen Einheiten – im Gaza-Krieg von 2014. Gekannt haben sie sich nicht. Aber Ariel Bernstein kann nachfühlen, was den unglücklichen Veteranen zu seiner Verzweiflungstat getrieben hat.
«Dass er einen solchen Tiefpunkt erreicht hat, ist nicht überraschend, nur traurig,» sagt Bernstein. Wie der verzweifelte Veteran, der sich selbst in Brand gesteckt hat, leidet auch er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ariel Bernstein war 19 Jahre alt, als er seinen obligatorischen Militärdienst leisten musste. Er war ein Kritiker der Politik seiner Regierung in den besetzten Palästinensergebieten. Trotzdem wollte er unbedingt zu einer der besten Kampfbrigaden.
«Unsere Vorbilder in der Mittelschule waren die Soldaten, die in den Spezialeinheiten dienten. Also in Kampfeinheiten, in die nur die Besten aufgenommen wurden», sagt er.
Ariel Bernstein kam zu einer Infanterie-Brigade, die im Sommer 2014 in die Stadt Beit Hanoun geschickt wurde, um gegen Terroristen zu kämpfen. Die israelische Luftwaffe bombardierte die Stadt schwer. Erst mit der Zeit realisierte der junge Kommandant, dass sich dort nicht nur Terroristen, sondern auch Zivilisten aufhielten.
Etwas stimmt nicht, wenn wir nach einem Krieg feiern.
Darüber schrieb er später ein Gedicht. Es heisst «Die Verbrennung». Darin beschreibt er, wie die überlebenden Soldaten sich zunächst über die Zerstörung freuen: «Wir sangen vor Freude, als die Häuser explodierten.» Als die Sonne aufgeht, wird das Ausmass der Zerstörung deutlich, und Bernstein beschreibt seinen Schock: «Mein einziger Wunsch war, dass die Sonne wieder untergeht, damit die Dunkelheit und die Angst in mein Herz zurückkehren.»
Nach dem Krieg erinnert er sich, wie die Menschen ihn und seine Truppe feierten, und wie ihn das befremdete. «Ich hatte Freunde verloren. Dann erfuhr ich, wie viele Palästinenser in den Quartieren, die wir in die Luft gejagt hatten, umgekommen waren – und ich dachte: Etwas stimmt nicht, wenn wir nach einem Krieg so feiern.»
Als Student bekam er Panikattacken
Fast noch mehr als der Krieg in Gaza machte ihm später sein Dienst im besetzten Westjordanland zu schaffen. «Mitten in der Nacht stürmten wir Häuser, schreckten Familien auf und verhafteten sogar Kinder: Das schadete meiner Seele», sagt Bernstein, der seinen dreijährigen Militärdienst 2015 beendete. Danach ging er an die Universität. Dort begannen seine Panikattacken.
Ein Militärpsychologe diagnostizierte bei ihm ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS). Der junge Soldat, der sich vor ein paar Tagen mit der gleichen Diagnose selbst in Brand steckte, hatte sich beim israelischen Verteidigungsministerium jahrelang vergeblich um eine finanzielle Entschädigung für sein Leiden bemüht.
Frustration über die Bürokratie war mit ein Grund, warum sich der junge Mann verbrennen wollte. Ariel Bernstein versucht gar nicht erst, beim Verteidigungsministerium eine Invalidenrente zu erkämpfen. Er arbeitet neben seinem Studium bei der Veteranenorganisation «Breaking the Silence»: Diese kritisiert die israelische Besatzung in den Palästinensergebieten. Der 27-Jährige dokumentiert für sie die Erlebnisse anderer Kriegsveteranen.
Genaue Zahlen über traumatisierte israelische Soldatinnen und Soldaten gibt es nicht, aber die Selbstverbrennung des Veteranen war kein Einzelfall. Premierminister Benjamin Netanjahu hat nun Reformen versprochen, um traumatisierten Veteranen unkomplizierter zu helfen. Darauf warten diese schon lange.