Die Reise in die Türkei der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, und des Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, war eine Pflichtübung. Beide hätten sich wohl lieber auf das Verbot Belgiens berufen, bis Mitte April das Land nicht verlassen zu dürfen. Politikerinnen und Politiker sind in diesem Fall aber nicht gewöhnliche Menschen.
Ihr Amt verpflichtet sie zuweilen zu verstörend blumig vorgetragenem Zweckoptimismus. Das zeigt sich in besonderem Masse im Verhältnis der Europäischen Union zur Türkei.
Die Türkei ist ein wichtiger Handelspartner der EU. Die Türkei hält im Gegenzug zu Milliarden Euro Hilfsgeldern Millionen Menschen, die aus Syrien geflohen sind, von der EU-Aussengrenze fern.
Auf Provokationen folgen halbherzige Drohungen
Der türkische Präsident Erdogan provoziert in regelmässigen Abständen die beiden EU-Nachbarstaaten Zypern und Griechenland mit allen Mitteln. Er schickt Kriegsschiffe los und Bohrschiffe, die nach Erdgas suchen sollen. Wenn nötig, erhöht er den Druck auf die EU, in dem er Flüchtlinge mit Bussen an die türkische Grenze transportiert und diese ermuntert, in die EU überzusetzen.
In der Regel folgen dann Proteste seitens der EU, halbherzige Drohungen und ein halbherziger Verzicht seitens der Türkei auf noch mehr Provokationen.
Milde Worte trotz kompliziertem Verhältnis
Darum irritieren die milden Worte, die Ursula von der Leyen und Charles Michel nach dem Treffen mit Präsident Erdogan gebrauchen.
Es bestehe Grund zur Hoffnung, dass die EU und die Türkei wieder zu einer positiven Agenda zurückfänden. Die letzten Wochen hätten eine sichtbare Entspannung gebracht. Die EU setze darauf, dass sich diese positive Entwicklung als nachhaltig erweise.
Die hohen Vertreterinnen und Vertreter aus der EU sind nicht naiv. Sie wissen um das komplizierte Verhältnis zur Türkei. Ein Bericht von 15 Seiten, erstellt Ende März, listet die Problempunkte fein säuberlich auf. Wer Positives sucht, muss darin geübt sein, zwischen den Zeilen lesen zu können.
Die Türkei bestimmt den Kurs
Das Problem der EU-Aussenpolitik gegenüber der Türkei sind die fehlenden Alternativen. Darum entsteht der Eindruck, die Türkei bestimme den Kurs der EU. Der Eindruck stimmt.
Und trotzdem kann die EU nicht anders, trotz der vielen Rückschläge, weiterhin daran zu glauben, dass sich das Verhältnis zur Türkei wieder verbessert. In der Vergangenheit lenkte der türkische Präsident immer wieder ein, wenn er nicht mehr anders konnte. Denn auch dem Nato-Mitglied Türkei fehlen reale Alternativen. Der türkischen Exportwirtschaft ohnehin.
Das Zweckbündnis braucht allerdings dringend und nachhaltig mehr positive Beispiele für eine gelungene Zusammenarbeit – so minimal diese auch ist. Im Juni wollen die EU-Staats- und Regierungschefs Fortschritte erkennen können. Sie müssen sich wohl in Bescheidenheit üben – ohne Alternative.