Es ist ein historisches Ereignis: Noch nie wurde seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Österreich eine gewählte Regierung vom Parlament abgesetzt. Die Absetzung per Misstrauensvotum ist auch deshalb so aussergewöhnlich, weil die Volkspartei von Kanzler Sebastian Kurz gestern noch die EU-Wahlen deutlich gewann.
Doch die beiden Verliererparteien von gestern – die sozialdemokratische SPÖ und die rechtsnationale FPÖ – haben im Parlament zusammengespannt. Dabei setzten sie nicht nur Kurz ab, sondern gleich die ganze Regierung.
Linke und Rechte sind wütend
Wenn zwei Wahlverlierer einen Wahlgewinner stürzen, dann wirft das Fragen auf. Doch die Rechtsnationalen (FPÖ) und die Sozialdemokraten (SPÖ) hatten ihre Gründe, diesen Eklat herbeizuführen. Die Linke hat Kurz nicht verziehen, dass er die FPÖ in die Regierung geholt hat. Ausserdem hat er der SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner monatelang den Wunsch nach einem Gespräch verweigert. Die Rechtsnationalen andererseits sind wütend, dass Kurz sie aus der Regierung geschmissen hat.
Der Ton in der Parlamentsdebatte war zeitweise sehr gehässig. So gehässig, dass er viele Österreicherinnen und Österreicher irritierte oder gar abstiess. Kanzler Kurz ertrug Häme und Spott der Opposition mit stoischer Ruhe. Er weiss, dass er immer noch der mit Abstand beliebteste Politiker Österreichs ist. Seine Chancen sind sehr gut, nach den vorgezogenen Neuwahlen im September wieder ins Kanzleramt einzuziehen.
Ernennung eines Nachfolgers
In den nächsten Stunden – aber fast sicher bis morgen Dienstag – muss Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen neuen Bundeskanzler oder eine neue Bundeskanzlerin ernennen. Dieser oder diese, hat zwei bis drei Tage Zeit eine Übergangsregierung aus sogenannten «Experten» – meist amtierende oder ehemalige Beamte oder Richter – zusammenzustellen. Bis nach den Wahlen im September eine neue Regierung steht, wird diese Übergangsregierung die Amtsgeschäfte führen.