Sechs Wochen lang hat Jody Wilson-Raybould über die Gründe geschwiegen, weshalb sie am vergangenen 14. Januar als Justizministerin abgelöst wurde. Am Mittwoch verfolgte nun die ganze Nation am Fernseher, was die 47-Jährige Juristin der Justizkommission des Parlaments zu sagen hatte.
Verschiedene Leute in der Regierung hätten einen anhaltenden Druck auf sie ausgeübt, sich als Justizministerin in die Ermittlungen gegen den kanadischen Baukonzern SNC-Lavaline einzumischen, sagte Wilson- Raybould. Dazu muss man wissen: In Kanada ist der Justizminister gleichzeitig Generalstaatsanwalt und damit oberster Ankläger.
Eine halbe Stunde lang berichtete sie anhand von Gesprächsnotizen detailliert, wer von September bis vor Weihnachten letzten Jahres immer wieder per Telefon oder in Gesprächen interveniert habe, damit die Firma vor einen Strafprozess verschont bleibe: der Finanzminister, mehrere persönliche Mitarbeiter des Premiers und auch Justin Trudeau selbst. Es habe Hinweise und versteckte Drohungen über Konsequenzen gegeben, so Wilson-Raybould.
«Unangemessener» Druck auf Justizmisterin
SNC-Lavaline ist ein weltweit tätiger Baukonzern mit Sitz in der Provinz Quebec. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, Vertreter des Gaddafi-Regimes in Libyen mit umgerechnet rund 50 Millionen Franken bestochen zu haben, um an Aufträge zu kommen. Deshalb die Untersuchung der Justiz. Bei einer Verurteilung bekäme SNC-Lavaline in Kanada während zehn Jahren keine Staatsaufträge mehr. Tausende von Jobs könnten verschwinden.
Der Hinweis aus dem Büro des Premierministers auf die gefährdeten Arbeitsplätze sei in einer ersten Phase im September durchaus legitim gewesen, sagte Wilson-Raybould. Dass aber auch nachher während Monaten Druck auf sie ausgeübt worden sei, das sei unangemessen gewesen.
Trudeau will sich «professionell» verhalten haben
Das Wort «illegal» benutzte sie nicht. Trudeau habe sie zwar gedrängt, ihm in dieser Sache zu helfen und eine Lösung zu suchen. Doch eine explizite Anweisung, die Strafverfolgung zu vermeiden, habe sie nicht bekommen. Fakt ist aber: Am 14. Januar wurde Wilson-Raybould als Justizministerin abgelöst.
Trudeau reagierte auf die Äusserungen seiner ehemaligen Justizministerin zunächst mit dem Hinweis auf Arbeitsplätze. Gute Arbeitsplätze zu schaffen und die bestehenden zu erhalten sei seine Aufgabe als Premierminister.
Weiter sagte er, er und sein Stab hätten sich stets professionell und angemessen verhalten. Er sei mit Wilson-Rayboulds Darstellung überhaupt nicht einverstanden.
Die Vorwürfe kommen zur Unzeit
Ob sie wegen ihrer Standhaftigkeit den Posten als Justizministerin verloren habe, wurde Wilson-Raybould gestern während des Hearings gefragt. Sie atmete erst mal durch: Sie müsse sehr vorsichtig sein, was sie sage. Sie habe Trudeau direkt gefragt, ob ihre Versetzung ins Veteranenministerium die Folge ihrer Haltung in Affäre SNC-Lavaline sei.
Trudeau habe dies verneint. Was heisst das nun alles für den Premier? In acht Monaten wird in Kanada gewählt. Es sei nicht mehr möglich, die Regierung so zu sehen wie vorher, schreibt die Zeitung «Toronto Star». Und laut neuesten Umfragen haben die Konservativen Trudeaus Liberale inzwischen überholt.