Auf einem Hügel in Abu Dis steht ein dreistöckiges Wohnhaus hinter einem über hundertjährigen Feigenbaum. Atef Arikat, der Dienstchef des Bürgermeisteramtes, führt Erstbesucher immer zuerst aufs Dach dieses Hauses. Von hier aus sieht man Jerusalems Altstadt.
Arikat zeigt auf die al-Aqsa-Moschee. «Früher gingen wir zu Fuss dorthin, oder waren mit dem Bus in zehn Minuten da.» Das ist heute nicht mehr möglich. Eine rund acht Meter hohe Stahlbetonmauer trennt Abu Dis von Jerusalem.
Ahmed Abu Hilal ist dank des Nahost-Friedensplans von Donald Trump unfreiwillig zum wohl bekanntesten palästinensischen Bürgermeister geworden. Er habe gelacht, als Trump Abu Dis zur Hauptstadt eines künftigen Palästinenserstaates ernannt habe.
«Weiss der US-Präsident überhaupt, wo Abu Dis liegt?», fragt Hilal und holt aus, als ob er es ihm erklären wollte: Abu Dis ist das südöstliche Tor zum Bezirk Jerusalem und Standort der einzigen arabischen Universität Jerusalems.
Mitten durch das Uni-Areal wollten die Israeli 2003 ihre Sperranlage bauen, bis die USA intervenierten. Jetzt steht die Mauer daneben. Trotzdem sei Abu Dis nur noch ein Bruchteil seiner früheren Fläche geblieben, sagt der Bürgermeister. Israel habe das Land annektiert für den Bau der Mauer und für zwei jüdische Siedlungen.
Heute können die 30'000 Einwohner von Abu Dis ohne Bewilligung der israelischen Behörden Jerusalem gar nicht betreten. Und wer ausreisen darf, wartet am Checkpoint und fährt einen langen Umweg. «Früher fuhren wir in fünf Minuten ins Zentrum von Jerusalem, heute brauchen wir dafür eine Stunde oder mehr», so Hilal.
Was masst sich der US-Präsident eigentlich an, für uns einfach eine andere Hauptstadt zu bestimmen?
Abu Dis ist faktisch von Jerusalem abgeschnitten. Als die Mauer noch nicht gebaut war, hatten die Palästinenser mit dem Bau eines Parlamentsgebäudes begonnen. Das war nach dem Oslo-Friedensprozess, als ein eigener Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt in Reichweite schien. Jetzt steht das Gebäude als Bauruine an der Mauer, gezeichnet von den Spuren gewalttätiger Demonstrationen. Abu Dis ist für die Menschen hier keine Hauptstadt.
«Warum Abu Dis, warum nicht Jerusalem?», fragt der Coiffeur Hamse. «Was masst sich der US-Präsident eigentlich an, für uns einfach eine andere Hauptstadt zu bestimmen?» Ein paar junge Männer laden Fenster auf einen Lieferwagen. Ihr Chef Anwar weist sie an. Die Empörung über Trumps Vorschlag findet der 43-Jährige müssig. «Alle fragen uns, was wir von Abu Dis als Hauptstadt halten, aber niemand versteht, wie wir leiden», sagt er.
Die Mauer habe Anwar von seinen Kunden in Jerusalem abgeschnitten. Zwar habe er eine Bewilligung, um nach Jerusalem zu fahren. Aber heute komme niemand mehr nach Abu Dis: Für Israeli ist es verboten, für die Touristen zu aufwendig. Hier sei früher etwas los gewesen – zwei Hotels, viele Werkstätten, Geschäfte. Heute gingen die Leute in andere Stadtteile Jerusalems, sagt er.
Aber das Schlimmste sei: Die Menschen seien von den Spitälern abgeschnitten. «Die Frau einer meiner Angestellten bekommt bald ein Kind – aber die Bewilligung, um ins Spital nach Jerusalem zu gehen, gilt nur bis 19 Uhr», sagt er. Die Zeit, die es brauche, um von den Israeli eine Bewilligung oder sogar eine Verlängerung dieser zu bekommen, sei ein Stress für alle hier. Über eine Hauptstadt mag Anwar gar nicht reden, solange er hinter einer Mauer lebt. Denn das, findet er, sei kein Leben, geschweige denn ein Staat.
Rendez-vous vom 4.3.2020; gfem