Er könne sich hundert Dinge vorstellen, die er lieber machen würde als Politik. Zum Beispiel Musik oder Schauspielern. So etwas sagen ehrgeizige Politiker eigentlich nicht – schon gar nicht kurz vor Wahlen.
Aber weil Ivan Bartoš gerade dabei ist, die tschechische Piratenpartei zu ihrem bisher grössten Wahlerfolg zu führen, macht der 41-Jährige die Dinge, die er lieber tun würde, halt als Wahlkämpfer: Der frühere Strassenmusiker spielt auf Wahlveranstaltungen Akkordeon.
Oder er schauspielert: In einem Wahlkampfvideo besucht ein Ivan Bartoš aus dem Jahr 2050 den Ivan Bartoš von heute.
Babiš ist die grösste Gefahr für Tschechien, das hat er in der Pandemie gezeigt.
Beim Interview in seinem Büro im tschechischen Parlament zieht Bartoš an einer Zigarette und sagt, es gelte vor allem, Regierungschef Andrej Babiš zu entmachten. «Babiš ist die grösste Gefahr für Tschechien, das hat er in der Pandemie gezeigt.» Tatsache ist: In Tschechien starben letzten Frühling – gemessen an der Einwohnerzahl – zeitweise mehr Menschen an Covid als irgendwo sonst auf der Welt.
«30'000 Menschen sind gestorben. Das wäre nicht nötig gewesen», glaubt Bartoš. Schuld sei Regierungschef Babiš, «ein Raubtierkapitalist», der nur in die Politik gegangen sei, um seine Geschäftsinteressen zu verfolgen.
Wofür die Piraten stehen, ist nicht klar
Der Piratenchef ist der Anti-Babiš. Wofür der drahtige Mann mit den Dreadlocks sonst noch steht, ist für viele in Tschechien allerdings nicht so klar. Die Piraten geben sich sozial und wirtschaftsfreundlich, sie versprechen Transparenz und mehr Schutz der Privatsphäre, sie sind grün und verteidigen die Atomkraft.
Ohne neue AKW könne Tschechien die grosse Abhängigkeit von der Kohle nicht beenden, sagt Bartoš. Man könne Kohleminen und -kraftwerke schliessen, müsse aber auch dafür sorgen, dass die Haushalte im Winter Strom hätten.
Als Koalitionspartner in die Regierung?
Weniger Ideologie, mehr Expertenwissen und mehr Technologie – das ist der Kurs der Piraten, seit Informatiker Bartoš sie vor zwölf Jahren mitgegründet hat. Ein erfolgreicher Kurs: Seit 2017 sitzen die Piraten im Parlament, bei den Wahlen dürften sie zweit- oder drittstärkste Kraft werden, könnten es als Koalitionspartner in die Regierung schaffen.
Bis im Sommer sah es sogar danach aus, als würden sie stärkste Partei werden, bei den Wahlen die Partei von Regierungschef Babiš überholen. Doch inzwischen ist die zeitweise schwer nachvollziehbare Corona-Politik der Babiš-Regierung etwas in den Hintergrund gerückt.
Regierungschef Babiš' ruppige Kampagne
Die Wirtschaft boomt wieder. Und der Regierungschef attackiert die Piraten mit einer ruppigen Kampagne: «Grüne Fanatiker», «Linksextreme» seien sie. Sie wollten Flüchtlinge nach Tschechien schleusen und die Wirtschaft zerstören, sagt Babiš in einem Internetclip.
«Dinge, von denen man sich kaum vorstellen kann, dass irgendjemand sie glaubt», sagt Bartoš. Aber wenn sie vom Regierungschef kämen, der die zwei grössten Zeitungen im Land besitzt, dann hinterliessen diese Unterstellungen halt doch Spuren und kosteten Wählerstimmen. Es sei ein Kampf zwischen David und Goliath.
In seinem Parlamentarierbüro mit den barocken Wandmalereien hängt die Werbung für ein brutales Computerspiel neben der Tibetfahne, unter dem Foto seines einjährigen Sohns steht ein Skelettaschenbecher. Ein Büro, das so unkonventionell ist, wie der Politiker, der hier arbeitet. Zu unkonventionell, wenn man Regierungschef werden möchte? Er könne nicht privat ein Mensch sein und als Politiker ein anderer. Er sei einfach authentisch.