An der griechisch-türkischen Grenze werden Geflüchtete und Migranten zum Spielball der Politik. Die Bevölkerung auf den Inseln ist nicht mehr gut auf die Migrierten zu sprechen. 65 Prozent der Einwohner sehen die Menschen in den Flüchtlingslagern als Bedrohung, wie eine Umfrage zeigt. Journalistin Rodothea Seralidou erläutert, wie es so weit kommen konnte.
SRF News: Wieso hat sich die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen und Migranten derart verschlechtert?
Rodothea Seralidou: Ein Grund ist, dass die Menschen auf den Inseln nun das fünfte Jahr in Folge die überfüllten Camps auf ihren Inseln haben. Sie fühlen sich mit der Situation allein. Ein weiterer ist die Flüchtlingspolitik der neuen konservativen Regierung Mitsotakis. Sie setzt auf Grenzsicherung und auf Abschiebungen und stigmatisiert Migranten mit ihrer Rhetorik.
Ist die Stimmung nur auf den griechischen Inseln schlecht oder auch auf dem Festland?
Auf den Inseln ist die negative Stimmung besonders gut zu spüren. Die Wut richtet sich nicht nur gegen Flüchtlinge und Migranten, sondern auch gegen Mitglieder von NGOs. Sogar Journalisten wurden angegriffen.
Rechtsradikale aus ganz Europa sind noch unberechenbarer und skrupelloser als die Einheimischen.
Ein Auffanglager des UNO-Flüchtlingshilfswerks wurde in Brand gesetzt. Im Gebäude der Schweizer Initiative «One happy family» auf Lesbos mit einer Schule und Aktivitäten für Flüchtlinge gab es ebenfalls einen Brand. So etwas erschreckt die Helfer und schafft eine bedrohliche Atmosphäre.
Auch auf dem Festland werden die Griechinnen und Griechen xenophober. Das wird klar, wenn sie selbst betroffen sind, wenn Flüchtlingsunterkünfte in ihrer Gegend vorbereitet werden, damit ein Bruchteil der Menschen aufs Festland gelangen kann. So sollen zum Beispiel die neu ankommenden Schutzsuchenden nach Nordgriechenland gebracht werden. Dafür soll ein neues Lager errichtet werden. Dagegen gibt es grosse Proteste der Anwohnerinnen und Anwohner. Und das ereignet sich gerade überall in Griechenland, wo Flüchtlinge hingebracht werden sollen.
Es gibt Berichte, wonach zurzeit Rechtsradikale aus ganz Europa nach Griechenland kommen. Welche Rolle spielen sie?
Sie haben vor allem die Insel Lesbos für sich entdeckt, aber auch an die Grenze am Fluss Evros sollen sie gereist sein. Sie heizen das angespannte Klima in Griechenland weiter auf. Diese Leute sind noch unberechenbarer und skrupelloser als die Einheimischen und sie nutzen die Wut und Unzufriedenheit vieler Griechinnen und Griechen aus, um sie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Es ist bequem, die Schuld den Flüchtlingen und den Nichtregierungsorganisationen in die Schuhe zu schieben.
Es sind Rechtsradikale aus Deutschland und Frankreich. Unter ihnen sind auch rechtsradikale Youtuber, die sich als selbsternannte Beschützer Europas vor Invasoren sehen, wie sie die Migranten und Geflüchteten bezeichneten. Es ist wahrscheinlich, dass viele der Gewalttaten und Angriffe der letzten Tage auf die internationalen Nazis zurückzuführen sind.
Die Regierungen heizt mit Rhetorik und Massnahmen die Stimmung gegenüber Migranten und Flüchtlinge an. Warum?
Die Regierung vertraut einer Politik der Abschreckung und der Restriktion. Sie glaubt daran, dass diese Menschen nicht nach Griechenland kommen dürfen und hat das auch im Wahlkampf deutlich gemacht. Sie wurde deswegen gewählt. Es ist bequem, die Schuld den Flüchtlingen und den Nichtregierungsorganisationen in die Schuhe zu schieben. Gerade Hilfsorganisationen, die sich für die Rechte der Menschen einsetzen, sind der Regierung ein Dorn im Auge. Es ist halt unbequem, wenn Menschenrechtsverletzungen an die Öffentlichkeit gelangen.
Das Gespräch führte Roger Aebli.