Das Verhältnis der Türkei zur USA, EU und Nato könnte kaum schlechter sein. Innert kürzester Zeit hat Ankara drei Konfliktlinien eröffnet.
Besonders gefährlich ist die Situation in den syrischen Kurdengebieten. Dort sind die türkischen Gewehrläufe praktisch auf den Nato-Partner USA gerichtet. SRF-Sicherheitsexperte Fredy Gsteiger deutet die Sprengkraft des türkischen Verhaltens.
Wieso lässt die Türkei die Situation mit den USA in Syrien eskalieren? Es geht der Türkei primär um das Kurdentrauma. Der Kurdistankonflikt treibt das Land seit Jahrzehnten um. Die Türkei hat nun Angst vor einem Defacto-Kurdenstaat, der mit der verfeindeten PKK kooperiert. Das bedeutet für die Türkei, der Feind sitzt direkt an der Grenze im Nachbarland. Und diese Furcht vor einem Kurdenstaat ist sogar stärker als die Angst um die Beziehung zum traditionell wichtigsten Partner – den USA.
Gleichzeitig bedient sich der türkische Präsident Erdogan einer gewissen Provokation. Er feilt an seinem Image als starker Mann. Erdogan riskiert die Konfrontation und hat dabei nur eine Klientel im Auge: die Wähler. Ein Krieg gegen die USA ist zwar nicht seine Absicht. Allerdings ist es denkbar, dass es durch eine Kettenreaktion dazu kommen könnte.
Sobald amerikanische Opfer ins Spiel kommen, ist eine Eskalation unausweichlich.
Sollten türkische Einheiten die Stadt Manbidsch angreifen, könnten sie nicht nur die von den USA unterstützten Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF) treffen, sondern auch dort stationierte US-Streitkräfte. Sobald amerikanische Opfer ins Spiel kommen, ist eine Eskalation unausweichlich. US-Aussenminister Rex Tillerson befindet sich im Moment in der Region. Er hat sich besorgt und vor allem empört über das türkische Verhalten gezeigt. Die Gefahr zumindest von Scharmützeln existiert.
Eine weitere Front öffnet sich im Zypern-Konflikt. Seit Samstag blockieren türkische Kriegsschiffe Erkundungsfahrten eines Gasbohrschiffs vor Zypern. Dort werden reiche Erdgasfelder vermutet. Ankara erkennt das EU-Land Zypern nicht an. Solange es keine Lösung der Zypern-Frage gibt, dürfen nach Ansicht Ankaras keine Forschungen ohne Zustimmung der türkischen Zyprer stattfinden.
Geht es im Zypern-Konflikt nur um die Gasvorkommen? Es geht tatsächlich um die Gasvorkommen, die offenbar beträchtlich sein sollen. Es geht aber auch um die türkische Zypern-Politik. Bis letztes Jahr sah es nach einer Entspannung aus. UNO-Generalsekretär António Guterres war zuversichtlich, eine Lösung für den Konflikt zu finden. Wenn Zypern wiedervereinigt würde, wären beide Teile, auch der türkische, Mitglied der EU – was vor allem wirtschaftlich grosse Vorteile für die Inseltürken hätte.
Seit einem Jahr nimmt die Türkei wieder eine härtere Position in der Zypern-Frage ein. Die Türkei verweigert weiterhin einen Abzug der 30'000 Soldaten aus Nord-Zypern. Diese Haltung hängt mit Erdogans Nationalismus zusammen. Er will sein Image als Macher nicht aufgeben. Weil Nord-Zypern als Hinterhof der Türkei betrachtet wird, kann man ihn unmöglich verlieren.
Zu Spannungen kam es auch in der Ägäis: Ein Boot der türkischen Küstenwache rammte ein Patrouillenboot der griechischen Küstenwache. Die Nachbarstaaten streiten sich neben der Zypern-Frage seit Jahrzehnten auch um Hoheitsrechte in der Ägäis. 1996 hatte der Streit um die unbewohnten Felseninseln die beiden Nato-Staaten an den Rand eines Krieges gebracht.
Wieso riskiert die Türkei wieder ein Zerwürfnis mit Griechenland? Der Ägäis-Konflikt ist historisch gewachsen und wurde eigentlich durch den Beitritt von Griechenland und der Türkei zur Nato stabilisiert. Der Mechanismus ist mit dem Beitritt Deutschlands und Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen. Die Stabilisierung des Ägäis-Konflikts hat bis jetzt relativ gut funktioniert.
Die Spannungen sind mehr ein Zeichen dafür, dass die Nerven in der Türkei blank liegen.
Wenig wahrscheinlich ist, dass die Türkei auch zu Griechenland eine neue Front eröffnen wird. Die Spannungen sind mehr ein Zeichen dafür, dass die Nerven in der Türkei blank liegen. Das Land sucht im Moment nicht ausgeprägt nach friedlichen Lösungen. Bei einem Nato-Austritt der Türkei, wie ihn manche fordern, würde der Ägäis-Konflikt wieder aufflammen. Aktuell handelt es sich eher um einen latenten, aber durchaus gehässigen Konflikt.
Was bezweckt die Türkei mit ihrem Verhalten? Den grössten Anteil an den Zerwürfnissen hat nur einer: Recep Tayyip Erdogan. Er pfropft der heutigen relativ liberalen, demokratischen Türkei wieder ein autoritäres Regime auf. Um seine Macht zu konsolidieren, muss er Justiz und Presse beikommen sowie die Wahlen gewinnen. Damit ihm das gelingt, muss er zwei Kräfte zusammenbringen: die Islamisten aus den ländlichen Gebieten wie Anatolien und die Kemalisten, angeführt vom Militär und militärnahen Kreisen.
Sein forscher und gleichzeitig wendiger Kurs in der Aussenpolitik spielt genau dem Militär in die Hände. Das trauert nach wie vor der ehemaligen territorialen Ausdehnung des Osmanischen Reichs nach. Wenn Erdogan es schafft, beide Seiten zu bedienen, dann kann er mit einer soliden Mehrheit bei den Wahlen rechnen. Eine solche Allianz kam bisher noch nie zustande. Sie eröffnet Erdogan die Möglichkeit, seine Machtfülle auszubauen und könnte dazu führen, dass Erdogan später gar keine freien Wahlen mehr abhalten lässt.