Der Türke Yunus T. lebt und arbeitet seit zehn Jahren in der Schweiz. Mit Politik hat er eigentlich nichts am Hut. Doch seit dem Putsch im vergangenen Sommer in der Türkei überlegt er sich zweimal, wo er sich einen Kebab holt und in welche Moschee er geht.
Drohungen und Boykottaufrufe
Yunus T. ist Mitglied der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen. Damit ist er in den Augen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seiner Gefolgsleute ein Terrorist. «Es ist völlig daneben. Ich habe mich immer von Gewalt distanziert, aber bei einem Teil der türkischen Gemeinde stehe ich auf der schwarzen Liste», sagt der Wirtschaftsinformatiker der «Rundschau».
Yunus T. war in der Geschäftsleitung der Schweizer Ausgabe von «Zaman», einer Gülen-nahen Zeitschrift. Als die Gülen-Bewegung ins Visier von Präsident Edogan geriet, sorgten Landsleute mit Drohungen und Boykottaufrufen dafür, dass die Zeitung immer mehr Abonnenten verlor – nach dem Putsch musste sie schliessen.
Riss geht durch die Familie
«Ich will weder mein Gesicht zeigen noch mich irgendwie äussern», macht die Frau von Yunus T. klar, als die «Rundschau» die Familie besucht. Die Pädagogik-Studentin befürchtet Repressalien. Ihre bitterste Erfahrung wegen des bevorstehenden Referendums hat sie bereits gemacht: Ihre Eltern haben den Kontakt mit ihr mehr oder weniger abgebrochen. Denn sie haben sich für Erdogan entschieden.
«Jeder, der in der Gülen-Organisation aktiv ist, hat eine Rolle beim Putsch gespielt. Auch jene, die in der Schweiz leben», sagt der Journalist und Fabrikarbeiter Mehmet Cek. Man müsse alle dafür zur Rechenschaft ziehen, fordert er. Er folgt damit ganz der Linie des türkischen Präsidenten.
Bedingungslos tritt der Journalist auch für ein Ja zum Verfassungsreferendum ein. Denn mehr Macht für Erdogan bringe die Türkei weiter. Wegen dieser Haltung werde er von «Terroristen» der PKK hierzulande bedroht und drangsaliert, behauptet Cek. «Als ich an der Preisverleihung für den oppositionellen Journalisten Can Dündar Fragen stellen wollte, wurde ich geschlagen.» Und am nächsten Tag hätten PKK-Leute sogar versucht in seine Wohnung einzudringen.
Ein Chor gegen die Spaltung
Im Chor «Stimme der Farben» wehrt man sich nach Kräften gegen die Gräben, die sich in der türkischen Diaspora auftun. «Wir haben Mitglieder aus den verschiedenen Religionen, Kulturen und Sprachen. Und alle werden mit ihrer Meinung respektiert», betont Chorleiter Hakan Can.
Doch auch im Chor haben die meisten Angst, sich öffentlich zu äussern. «Ich bin klar gegen Erdogan, aber ich habe auch Angst, zu reden. Sie können mich wegen irgendwas ins Gefängnis stecken, wenn ich das nächste Mal meine Verwandten in der Türkei besuchen», sagt A.D., eine selbständige Buchhalterin. Nur ein Nein zur Verfassungsreform lasse einen Funken Hoffnung auf Demokratie, lautet der Tenor.
Man dürfe Erdogan nicht noch mehr Macht geben, findet Erol Kilickaya: «Er will alles regieren, und die Nein-Wähler nennt er Terroristen. Ist das normal? Wir haben ja keine Waffen, wir sagen nur unsere Meinung.»