Glas, Aluminium, Luft und Licht. Daraus geschliffen sei das neueste architektonische Juwel in Warschau, erzählt im Jahr 1962 zu Jazz-Musik das polnische Fernsehen.
Super Sam wird eröffnet. Und mit ihm ein Stück Westen in einer der Hauptstädte des kommunistischen Ostblocks. Super Sam ist in Polen der erste Supermarkt mit Selbstbedienung – und mit Überwachungssystem für immerzu volle Regale, mit Bäckerei, mit Café.
Super Sam ist riesig, zur Eröffnung gibt es sogar Zitronen zu kaufen.
All das befindet sich in einem Gebäude, das auch im Westen Architekturpreise gewinnen wird. Ein geschwungenes Dach, aufgehängt an Stahlseilen, riesige Fenster.
Leise Ironie
«Erste Gäste tauchen ein in die europäische Atmosphäre.» Im Fernsehbild sieht man gebratene Hähnchen am Spiess, dazu der Kommentar: «Ein wahres Füllhorn des sozialistischen Handels.»
Leise Ironie, typisch für das kommunistische Polen und für ein gespaltenes Land: Offiziell stramm kommunistisch, versteckt hinter dem Eisernen Vorhang. Dabei sehnten sich die meisten Menschen nach dem Westen.
Und so war Super Sam weit mehr als ein Ort, wo jeder und jede den täglichen Einkauf machen konnte. Es war ein Sehnsuchtsort – Sehnsucht nicht nur nach westlichem Konsum, sondern generell nach westlichem Leben.
Erst recht in Warschau, das nach dem Zweiten Weltkrieg völlig zerstört war, wo neue Gebäude als Triumph über die Nazis galten – diese hatten die Stadt vernichten wollen.
Es gibt sogar Käse nach 14 Uhr
Bei der Eröffnung 1962 drängten so viele Menschen in den neuen Laden, dass ein Fenster kaputtging. «Robust, schön und praktisch, ein Vorbild für unseren Handel», sagt der Fernsehsprecher – eingeblendet werden die Glasscherben der zerbrochenen Fensterscheibe. Wieder Ironie.
Nun waren die 1960er wirtschaftlich gesehen tatsächlich verhältnismässig erfolgreich in Polen. Ganz im Gegensatz zu den 1980er-Jahren.
1988 steht wieder ein Fernsehreporter vor dem Super Sam: «Nirgendwo haben wir so viel Glück beim Einkaufen wie im Super Sam. Hier kann man sogar nach 14 Uhr noch Käse oder Milchpulver für Babys kaufen.»
Es war in Polen die Zeit der Entbehrungen, der langen Schlangen, der leeren Ladenregale. Super Sam war inzwischen nicht mehr so lichtdurchflutet, die Belüftung hatte nicht funktioniert. Damit Kunden und Angestellte nicht umkamen vor Hitze, hatte man riesige Jalousien installiert.
Konsum, wie wir ihn kennen
«Nach den Ferien wird es spürbar besser», sagt der Reporter 1988 noch, «man bekommt dann wieder einfacher Fisch, Käse, Milch». Besser wurde es aber erst nach 1989, nachdem der Kommunismus in Polen untergegangen war. Mit der Zeit kam der Konsum, wie wir ihn kennen, nach Warschau. Das Café im Supermarkt wird zur McDonald’s-Filiale.
2006 dann reisst die Stadt das Super-Sam-Gebäude ab, gefährlich instabil sei die Konstruktion inzwischen, zu teuer die Reparatur, heisst es. Halb Warschau protestiert. Danach war Super Sam ein Supermarkt im Keller eines Einkaufszentrums, wie es auch in Tokio oder Madrid stehen könnte.
Und jetzt ist auch dieser Super Sam geschlossen. Zu wenig Kundinnen. Viele hier in Warschau sind traurig. Dabei haben sie längst nicht mehr im Super Sam eingekauft – näher, billiger, schneller ist es anderswo. Traurig sind sie vielleicht, weil der tägliche Einkauf längst nichts Besonderes mehr ist.