Im Rahmen des Abkommens mit Israel hat die Hamas im Gazastreifen die sterblichen Überreste von vier Menschen übergeben. Es handelt sich um eine Mutter mit zwei Kleinkindern und einen älteren Mann. Die Kinder waren zum Zeitpunkt ihrer Entführung acht Monate und vier Jahre alt. Ihre Identität wird in Israel geprüft. Auslandredaktorin Susanne Brunner sagt, was diese Inszenierung auslöst.
Wie lief die Übergabe der toten Geiseln ab?
Die Übergabe war – trotz Ermahnung des Roten Kreuzes – weder privat, noch würdig: Eine laute, teils pfeifende, rufende oder sogar lachende Menge schaute zu, wie uniformierte, maskierte Hamas-Mitglieder die Särge auf die inzwischen weltbekannte Bühne in Deir el Balah trugen. Es ist eine Bühne voll von Plakaten und politischen Botschaften. Auf einem Plakat stand sinngemäss: «Wir geben euch zurück, was der Krieg gebracht hat – eure toten Gefangenen». Die Hamas nutzte die Übergabe, um Israel zu sagen, es habe diese Geiseln mit seinem Krieg getötet.
Was löst die Übergabe von Kindersärgen in der israelischen Gesellschaft aus?
Trauer, Entsetzen und auch Wut: Wut über das Spektakel der Hamas, aber auch Wut auf die Regierung, welche es am 7. Oktober 2023 nicht geschafft hatte, die Bevölkerung vor dem Hamas-Angriff zu schützen. Wut auch darüber, dass diese Geiseln umkamen, dass es so lange dauerte, bis ein Abkommen für ihre Freilassung zustande kam – diese Wut ist vor allem bei den Angehörigen der Direktbetroffenen gross, wie ich erst kürzlich bei einem Besuch im Kibbutz Be’eri selbst festgestellt habe.
Premier Netanjahu nahm denn auch nicht an der militärischen Zeremonie teil. Begründet hat er seine Abwesenheit nicht, aber die Wut vieler Angehöriger wäre ihm sicher gewesen. Klar ist: Diese Bilder haben sich sofort ins kollektive Bewusstsein Israels eingeprägt, auch weil die Entführung dieser Familie so viel ausgelöst hatte.
Wie reagiert die palästinensische Bevölkerung auf diese Bilder?
Die Reaktionen sind unterschiedlich: In den sozialen Medien klammern sich viele ans Hamas-Narrativ, die Kinder und ihre Mutter seien bei einem israelischen Luftangriff auf den Gazastreifen umgekommen. Das ist zwar durchaus möglich – aber glauben werden das die Israeli nie, auch weil die Hamas ihre Brutalität zur Genüge gezeigt hat.
Von den Palästinenserinnen und Palästinensern wird auf das Video verwiesen, das zeigt, wie die Bibas-Familie entführt wurde. Da sagt einer der Entführer, man soll der Mutter und den Kindern nichts antun. Das ist für Palästinenserinnen und Palästinenser, die glauben wollen, dass die Hamas gemäss ihrem muslimischen Glauben keinen Unschuldigen etwas angetan hätten, wichtig.
Ich stelle bei meinen palästinensischen Kontakten fest, dass sie die Übergabe von Kindersärgen menschlich berührt, dass sie aber sofort sagen: Die Israeli erschiessen auch unsere Kinder. Das ist schwer auszuhalten, weil man sofort wieder beim Hass auf die andere Seite ist.
Ist Frieden unter diesen Umständen überhaupt möglich?
Solange beide Seiten nicht einsehen, dass Zehntausende Kinder unter diesen Kriegen leiden und sterben, ist es schwer vorstellbar, dass Frieden möglich ist. Wenn der Anblick von Kindersärgen einen nicht berührt, dann ist etwas Grundlegendes kaputtgegangen. Es ist auch unfassbar, wie beide Seiten selbst Leichen so lange zurückbehalten, damit sie diese als Verhandlungspfand benutzen können.