Hochrangige Mitglieder der Trump-Administration sollen in Kiew geheime Gespräche mit politischen Gegnerinnen und Gegnern des ukrainischen Präsidenten geführt haben – und zwar mit der ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko und hochrangigen Mitgliedern der Partei von Selenskis Vorgänger Petro Poroschenko. Das meldet die US-Zeitung «Politico». Präsidentschaftswahlen blieben in der Ukraine noch in weiter Ferne, sagt Denis Trubetskoy, Beobachter des politischen Kiews.
SRF News: Wie glaubwürdig ist es, dass es tatsächlich zu solchen Treffen gekommen ist?
Denis Trubetskoy: Poroschenko und Timoschenko sind Abgeordnete des ukrainischen Parlaments: Von daher ist ein solches Treffen an sich nicht unüblich. Was das Treffen interessant macht, ist die Tatsache, dass Donald Trump Wolodimir Selenski offensichtlich nicht mag und am liebsten jemand anderen im Präsidentenamt in Kiew sehen würde. Doch dass man sich austauscht, ist nicht unüblich. Das hat es auch schon während der vorherigen US-Administration unter Joe Biden gegeben.
Keiner der Akteure, der für Selenskis Nachfolge infrage käme, wäre bereit, ukrainische Interessen aufzugeben.
Welche Strategie steckt aus Ihrer Sicht hinter dem Treffen?
Es sieht so aus, als ob Trump den ukrainischen Präsidenten gerne austauschen würde. Poroschenko und Timoschenko liegen derzeit in den Umfragen jedoch weit abgeschlagen – auch wenn diese im Moment grösstenteils nicht öffentlich sind, weil sich die Soziologen darauf geeinigt haben, sie nicht zu veröffentlichen. Man muss aber auch sagen, dass alle Akteure, die für Selenskis Nachfolge infrage kämen – beispielsweise der ehemalige Armeechef und heutige Botschafter in London Walerij Saluschnyj – nicht bereit wären, ukrainische Interessen aufzugeben. Inwieweit die Trump-Administration das versteht, bleibt offen.
Alle Umfragen zeigen, dass die Mehrheit in der Ukraine gegen die Austragung von Wahlen in Kriegszeiten ist.
Warum haben die Treffen ausgerechnet mit Timoschenko und Poroschenko stattgefunden?
Die Partei von Präsident Selenski hat im ukrainischen Parlament zwar formell die absolute Mehrheit, diese ist aber eher virtuell. In Wirklichkeit kommt es auch auf die Stimmen aus der Opposition an. Julia Timoschenko ist Fraktionsvorsitzende und Petro Poroschenko ist Parteivorsitzender. Es handelt sich also um erfahrene Stimmen mit politischem Einfluss. Poroschenko ist zudem ein wichtiger Aussenpolitiker und war auch schon ukrainischer Aussenminister. Beide haben Erfahrung in direkten Verhandlungen mit Putin. Da ergibt ein gewisser Austausch schon Sinn.
Welche Meinungen gibt es in der Ukraine zur Frage von Präsidentschaftswahlen?
Sowohl Timoschenko als auch Poroschenko haben sich klar gegen eine Austragung von Wahlen in Kriegszeiten positioniert. Das entspricht auch der Mehrheitsmeinung in der ukrainischen Bevölkerung. Alle Umfragen dazu zeigen, dass die Mehrheit in der Ukraine gegen die Austragung von Wahlen in Kriegszeiten ist.
Es gibt unzählige Gründe, warum es sehr schwierig wäre, Wahlen durchzuführen. In Grossstädten wie Charkiw oder Saporischja, die sich relativ nahe an der Front oder an der russischen Grenze befinden, schlagen quasi täglich russische Raketen ein, noch bevor die Luftalarmsirenen ertönen.
Was müsste passieren, damit Selenski als Präsident wirklich gefährdet wäre?
Je länger der Krieg dauert, desto grösser wird auch der Anteil der Menschen sein, die sich sagen: ‹Vielleicht hat unsere Führung auch ein Interesse an der Weiterführung dieses Krieges.› Und dann könnte sich das Ganze irgendwann auch innenpolitisch verschieben. Aber im Moment sehe ich diese Entwicklung nicht.
Das Gespräch führte Oliver Kerrison.