Die Menschen im ostukrainischen Donbass haben eine Atempause. Die anfangs September neu beschlossene Waffenruhe hält. Die schwere Artillerie schweigt, die Kampfhandlungen erschöpfen sich in gelegentlichen Schusswechseln mit leichten Waffen. Am Mittwoch haben die Konfliktparteien wieder einmal einen Rückzug von schweren Waffen vereinbart. Und am Nachmittag findet in Paris ein neuer Gipfel statt.
Im Grunde könnte man also diesem Gipfel mit Zuversicht entgegensehen. Experten allerdings warnen vor zu ambitionierten Prognosen. Denn auch wenn die Konfliktparteien Gesprächsbereitschaft signalisieren und dem Waffenabzug zustimmten, an der eigentlichen Konfliktlage hat sich nur wenig verändert.
Die Hindernisse sind zahlreich
SRF-Russland Korrespondent Christof Franzen verweist auf den eher bescheidenen Erfolgskatalog der Verhandlungsparteien. «Vom Minsker Abkommen ist bislang nur das wenigste umgesetzt worden», gibt Franzen zu bedenken.
Die Waffenruhe und der Austausch von Gefangenen sind mehr oder weniger die einzigen Punkte. «Der schwerwiegende Teil der Uneinigkeit besteht nach wie vor.»
Franzen braucht nicht lange, um die gleichermassen ungelösten wie brennenden Probleme zu benennen. Einem baldigen Frieden stehen folgende Punkte entgegen:
- Die Wahlen: Die Ukraine wählt am 25. Oktober ein neues Parlament. Die abtrünnigen Regionen haben eigene Wahlen am 18. Oktober (Lugansk) bzw. am 1.11. (Donezk) angesetzt. Dieses Vorgehen entspricht in keiner Weise demokratischen Standards, wie sie die OSZE verlangt. Die Ukraine wird solche Wahlergebnisse unmöglich tolerieren können.
- Die Grenzkontrolle: Nach wie vor wird die ukrainisch-russische Grenze nicht von der Ukraine kontrolliert. Dazu müsste Putin erst seine Einheiten abziehen. Dass er dies tut, ist aus jetziger Sicht eher unwahrscheinlich.
- Die Reformen: In der Ukraine lassen umgekehrt die vereinbarten politischen Dezentralisierungs-Reformen, wie sie im Minsker Vertrag vereinbart worden sind, immer noch auf sich warten. Solange sich hier nichts bewegt, dürften Gipfelgespräche wenig ergiebig sein.
- Der Natobeitritt: Die Ukraine hält an ihrem Plan fest, sich der Nato anzuschliessen. Eine solche Osterweiterung kann sich Putin auch innenpolitisch nur schwer leisten.
Putin machen die Sanktionen zu schaffen
Aus diesen Gründen bezeichnet Russland-Korrespondent Christof Franzen die Chancen auf namhafte Ergebnisse am Freitag für «sehr gemässigt». Dies umso mehr, als in Putins nachbarschaftlichem Streit mehr und mehr auch der Syrienkonflikt eine Rolle zu spielen beginnt.
«Putin steht wegen der westlichen Sanktionen nach der Krim-Annexion zunehmend mit dem Rücken zur Wand», erklärt Franzen. Die Strafmassnahmen des Westens fangen erst jetzt langsam zu schmerzen an.
«Russlands neue Ölvorkommen lassen sich ohne westliche Technik nicht erschliessen», sagt Franzen. Durch den Ausschluss vom westlichen Kapitalmarkt ist Putins Russland zudem in eine schmerzhafte Rezession gerutscht.
Das erhoffte Geld der Chinesen blieb ebenfalls mehrheitlich aus. «Mit seinem Engagement in Syrien versucht Putin, zurück auf die weltpolitische Bühne zu finden. Sein Kalkül dabei ist leicht durchschaubar.»
Kämpfe Russland Seite an Seite mit den USA gegen den Islamischen Staat (IS), könnte der Westen seine Ukraine-Sanktionen kaum mehr in der jetzigen Form aufrechterhalten.
Syrien: taktischer Versuchsballon
Zudem steht auch in Syrien für Putin einiges auf dem Spiel. «Er weiss, dass rund 2000 Kaukasier mit russischen Pässen bei der Terrormiliz IS unter Vertrag stehen», erklärt Franzen. Wenn die dereinst heimkehren, könnten sie einen neuen Flächenbrand in Russlands Unruheregionen entfachen.
Und für den Fall, dass Russlands Bemühungen in Syrien zum Desaster verkommen, hängt auch der Friede in der Ukraine am seidenen Faden. «Wenn sein taktischer Versuchsballon in Syrien platzen sollte», befürchtet Franzen, «dann kann sich Putin praktisch von heute auf morgen wieder dem Konflikt in der Ukraine zuwenden.»
Wie es in der Ukraine ausschauen wird, wenn ein gedemütigter Putin da seine vom Westen geschlagenen Wunden leckt, will man sich lieber nicht vorstellen.