Der Überfall Russlands auf die Ukraine jährt sich in knapp einem Monat zum dritten Mal. Einer, welcher seit Tag 1 in den Krieg in der Ukraine involviert ist, ist Vitali Klitschko. Seit Jahren amtet er als Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Bevor er ans Weltwirtschaftsforum WEF nach Davos reist, hat ihn SRF News in seinem Büro in Kiew getroffen und mit ihm über die Schweiz gesprochen.
SRF News: Was erwarten Sie von der Schweiz?
Vitali Klitschko: Die Schweiz versucht neutral zu sein, aber die Menschen müssen Antworten geben auf folgende Fragen: Seid ihr für Demokratie oder für Autoritarismus? Seid ihr für Krieg oder für Frieden? Unterstützt ihr unseren Wunsch, Teil der europäischen Familie zu werden oder unterstützt ihr den Wunsch von Putin, die Ukraine an das russische Imperium anzuschliessen?
Sind Sie enttäuscht von der Schweiz?
Jein.
Warum ja, warum nein?
Die Schweiz zeigt ihren Willen, der Ukraine zu helfen, versucht aber gleichzeitig, neutral zu bleiben. In solchen Situationen wie jetzt kann man nicht neutral sein. Wir haben es mit dem grössten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Deshalb braucht es klare und deutliche Positionen. Die Schweiz muss klar und deutlich sein. Wir erwarten mehr Unterstützung für die Ukraine.
Was erwarten Sie von der Schweiz ganz konkret?
Die Ukraine sollte unterstützt werden, Teil der europäischen Familie zu werden. Das ist ganz wichtig. Die Schweiz soll die Ukraine unterstützen, sich zu verteidigen. Wir greifen keinen an. Die Ukraine war immer ein friedliches Land. Wir waren niemals gegenüber einem anderen Land aggressiv. Im Zuge des Budapester Memorandum haben wir sogar freiwillig unsere Atomwaffen abgegeben. Im Gegenzug erhielten wir die Garantie, dass Russland unsere Souveränität und territoriale Integrität respektiert. Deshalb erwarten wir noch härtere Positionen von der Schweizer Regierung.
Dialog muss sein, aber wir haben Angst, dass das Ganze zu Ungunsten der Ukraine entschieden werden könnte.
Sie erwarten, dass die Schweiz erlaubt, dass Schweizer Waffen in die Ukraine geliefert werden?
Ja.
Haben Sie kein Verständnis dafür, dass die Schweiz als neutrales Land das nicht machen möchte?
Wir verteidigen unser Land. Wir greifen niemanden an und jeder hat das Recht, sich zu verteidigen.
Offenbar ist Wladimir Putin bereit, Donald Trump zu treffen. Gibt Ihnen das Hoffnung?
Selbstverständlich gibt uns das Hoffnung, aber man darf auch nicht naiv sein. Man kennt die Ziele von Putin. Dialog muss sein, aber wir haben Angst, dass das Ganze zu Ungunsten der Ukraine entschieden werden könnte. Einen grossen Teil der Ukraine an Russland abzugeben, ist kein Kompromiss.
Das Gespräch führte Sebastian Ramspeck.