Als er noch nicht im Gefängnis war, traf Khurram Parvez seine Gesprächspartner lieber in Cafés als in seinem Büro. Doch wusste er schon damals, 2019, dass dies als Tarnung wenig bringt. Sie würden ihn ohnehin verfolgen, meinte der international bekannte Menschenrechtsaktivist in Srinagar, der Hauptstadt des von Indien kontrollierten Teils von Kaschmir.
Mit «sie» meint er die Spitzel der Regierung, die sein Telefon abhörten und ihn auf Schritt und Tritt verfolgten. Nach jedem Gespräch mit Journalisten tauchten sie auf und wollten alles über deren Fragen wissen. Seine Antwort sei immer dieselbe: Das werden Sie ja dann lesen oder hören können.
Die Liste von Khurram Parvez
Khurram Parvez war unangenehm, doch er liess sich nie auf die dünnen Äste hinaus. Er kommentierte nie, äusserte sich nicht zu politischen Parteien. Bezog keine Stellung für oder gegen Indien. Seine Arbeit bestand darin, Menschenrechtsverletzungen von allen Seiten nachzuweisen.
Die Erkenntnisse teilte er mit der UNO und Menschenrechtsorganisationen, denn diese haben in Kaschmir schon länger keinen Zutritt mehr. Seine kleine Menschenrechtsorganisation war die einzige in Kaschmir, welche dem Narrativ der indischen Regierung fundiert entgegenhalten konnte.
Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten
Die Regierung behaupte, alle Menschenrechtsverletzungen würden von den Rebellen in der Region begangen. Doch allein die Zahl der Fälle an den Gerichten Kaschmirs zeige, dass meist der indische Staat am Pranger stehe. Das sei durchaus ein Indiz dafür, wer mehr Menschenrechtsverletzungen begehe, sagte Parvez im Gespräch vor zwei Jahren.
Wenige Monate nach dem Gespräch wurden der Region die Autonomierechte entzogen. Kaschmir wurde fortan direkt von der indischen Hauptstadt Neu-Delhi regiert. Ausländische Journalisten haben seither keinen Zutritt mehr. Im Schatten dieser Reorganisation wurde der «Unlawful Activities Prevention Act» ausgeweitet. Ein Gesetz, das nach Ansichten der indischen Regierung illegale Aktivitäten präventiv zu bekämpfen versucht.
Anti-Terror-Gesetz als Freipass
Ein kaschmirischer Journalist, der im aktuellen Kontext nicht beim Namen genannt werden möchte, erklärt: Dieses Gesetz kehre die Unschuldsvermutung um. Jeder, der von den Behörden verdächtigt werde, in illegale Aktivitäten verwickelt zu sein, könne aufgrund dieses Gesetzes verhaftet werden. Es sei dann am Angeklagten, vor Gericht seine Unschuld zu beweisen.
Wenn es denn überhaupt zum Gerichtsfall kommt. Denn das Gesetz erlaubt eine Festnahme von bis zu sieben Jahren – ohne dass es zu einer Verhandlung kommen muss. Auf der Grundlage dieses Gesetzes wurde Khurram Parvez diese Woche verhaftet. Der Grund: Er habe in Kaschmir Terrorismus geschürt.
Das provozierte internationale Reaktionen. Die UNO-Spezialberichterstatterin über die Situation von Menschenrechtsverteidigern, Mary Lawlor, schrieb auf Twitter: Parvez ist ein Menschenrechtsvertreter, kein Terrorist.
Der Journalist aus Kaschmir ahnt andere Motive hinter der Festnahme von Khurram Parvez: In den letzten Wochen habe es grössere Unruhen mit mindestens 15 getöteten Zivilisten gegeben. Die meisten gingen auf das Konto von militanten Gruppierungen. Mindestens drei junge Männer aber seien von der indischen Armee getötet worden. Auch darüber habe Parvez berichtet. Offensichtlich gilt in Kaschmir nur als unabhängig, wer für die Regierung ist.