Eine Möwe segelt von Deutschland her über den trägen Fluss und setzt sich auf die Kaimauer von Widuchowa, Polen. Sie ist ein Zeichen der Hoffnung für Pawel Wróbel.
Er wird den Tag, an dem hier zig Tonnen tote Fische angeschwemmt wurden, nie vergessen: «Die Fische trieben mit den Bäuchen nach oben. Und es war vollkommen still. Totenstill.»
Es war vollkommen still. Totenstill.
Tagelang schaufelten Wróbel und andere Freiwillige tote Fische aus dem Grenzfluss Oder. «Ich habe bis heute eine Aversion gegen Fisch und esse keinen mehr», sagt der Politiker.
Weit und breit keine Angler
Für die Gastwirtinnen in Widuchowa ist die Angelsaison dieses Jahr ins verschmutzte Wasser gefallen. Als das Umweltdesaster bekannt wurde, leerten sich die Pensionen schlagartig. Fast alle Buchungen wurden storniert.
«Die Katastrophe ereignete sich auf dem Höhepunkt der Saison, in jener Zeit, in der die Gastwirte hier am meisten verdienen», sagt der Gemeindepräsident. In Widuchowa ist die Sorge gross, dass sich das Geschäft mit den Touristen längere Zeit nicht erholen wird.
Es wird Jahre dauern, bis sich die Fischbestände erholt haben.
Ein paar Kilometer flussabwärts, in Gryfino, hängt am Eingangstor der Fischereigenossenschaft ein Schild: «Brak Ryby» – «Kein Fisch». In den Baracken hier würden die Berufsfischer ihren Fang verkaufen, wenn es denn einen gäbe. Hier würden Hobbyfischer ihre Angelscheine lösen. Aber das will derzeit niemand.
Keine Fische in den nächsten Jahren
Das Wasser in der Oder ist wieder so sauber wie vor dem grossen Fischsterben. Trotzdem: «Es wird Jahre dauern, bis hier wieder alles ist wie vorher», sagt Krzystof Grzelak, der Präsident der Fischereigenossenschaft. «Es geht vier bis fünf Jahre, bis ein Fisch genügend gross ist, um gefangen zu werden.» Er rechnet noch auf Jahre hinaus mit schlechten Fängen.
Die Hauptaufgabe der Fischereigenossenschaft sei jetzt, Jungfische auszusetzen und den Fischbestand wieder aufzufüllen.
«Allerdings werden auch diese Fische noch unter dem Umweltdesaster leiden», sagt Grzelak. Drei Wochen lang gab es im Fluss praktisch keinen Sauerstoff. «Das hat auch Muscheln, Schnecken und Krebse getötet. Die Folge: Einige Fische werden noch lange nicht genügend Nahrung finden.»
Frustration auf deutscher Seite
In Gartz, auf der deutschen Seite der Oder, steht Amtsdirektor Frank Gotzmann am offenen Fenster seines Büros und blickt über den Fluss nach Polen hinüber.
Auch er hat in der Augusthitze tagelang tote Fische aus dem Fluss geschaufelt. Auf deutscher wie auf polnischer Seite haben behelfsmässig ausgerüstete Freiwillige einen grossen Teil der Aufräumarbeiten erledigt.
Die polnischen Behörden haben nicht schnell und gut reagiert.
«Die polnischen Behörden haben nicht schnell und gut reagiert. Aber die deutschen Landes- und Bundesbehörden haben sich auch nicht mit Ruhm bekleckert. Es ist schon erstaunlich, dass am Schluss die kleinsten Verwaltungseinheiten, die Städte und Gemeinden, mit dem Problem beschäftigt waren», sagt Gotzmann.
Besser vorbereiten
Der Verwaltungschef von fünf Gemeinden am deutschen Oderufer fordert, dass man sich auf beiden Seiten des Flusses besser auf solche Notfälle vorbereitet. Er will, dass man die Wasserqualität viel genauer misst und dass man definiert, wer was tun muss bei einer nächsten Umweltkatastrophe.
Von den polnischen Behörden erwartet er zudem eine nachvollziehbare Erklärung, was das Fischsterben an der Oder ausgelöst hat. Ansonsten werde sich das Misstrauen in der Bevölkerung dauerhaft festsetzen.