Der neu gewählte Präsident Brasiliens, der Ultrarechte Jair Bolsonaro, hat im Wahlkampf viele Versprechen abgegeben. Auch der Agrarlobby, der grössten Lobby im Land, der fast die Hälfte der Abgeordneten im Parlament verpflichtet sind. Ihr versprach Bolsonaro, mehr landwirtschaftliche Nutzflächen zu schaffen. Der Journalist Tjerk Brühwiller spricht über die Gefahr für Mensch und Umwelt, die von der weiteren Abholzung des Regenwaldes ausgeht.
SRF News: Hat die Agrarlobby bereits die Motorsägen bereitgelegt?
Die Motorsägen sind ständig bereit in Brasilien. Denn die Abholzung ist weit davon entfernt, aufgehalten zu werden. Doch klar ist: Die Wahl von Bolsonaro stärkt natürlich die Agrarlobby. Sie sieht in ihm einen Verbündeten, der ihr mehr Freiheiten geben will, um neues Land zu erschliessen, um abzuholzen.
Umweltschutz war ja auch vor Bolsonaro kein Herzensanliegen der Präsidenten. Auch Lula da Silva ist vor der Agrarlobby eingeknickt. Vertritt Bolsonaro deren Interessen nun einfach offensiver und offenkundiger?
Ja, der Macht der Agrarlobby kann sich keine Regierung in Brasilien entziehen. Das ist auch bedingt durch das brasilianische Parlament. Das ist sehr fragmentiert. Die Ruralistas haben dort eine sehr grosse Zahl an Vertretern. Wer diese auf seiner Seite hat, dem fällt es natürlich leichter, zu regieren. Das wusste bereits Lula da Silva, das wusste auch Lulas Nachfolgerin Rousseff.
Bolsonaro will die Strafen für Umweltdelikte wie illegale Abholzung mildern.
Im Unterschied dazu ist Bolsonaro nicht nur durch politischen Pragmatismus getrieben. Er ist mit Überzeugung ein Vertreter des Agrarsektors. Und er sagt, die Umweltpolitik schnüre dem Land, der Wirtschaft Brasiliens, die Luft ab.
Dass der Regenwald zugunsten von Sojaanbau abgeholzt wird, ist schon lange ein Problem. Aber Bolsonaro will jetzt auch dort Nutzflächen schaffen, wo heute Naturschutzgebiete und Reservate sind. Darf er das?
Er hat Diverses vorgeschlagen. Auch, dass das Umweltministerium in das Agrarministerium integriert werden soll, was de facto einer Abschaffung gleichkäme. Diesen Vorschlag hat er nun wieder relativiert. Doch es ist offensichtlich, wo er hinwill: Der Schutz von Naturschutzgebieten und Indianerreservaten soll aufgeweicht, die Kontrolle zurückgefahren werden. Und die Strafen für Umweltdelikte wie illegale Abholzung will er mildern.
Was würde das für die indigene Urbevölkerung bedeuten?
In Bezug auf die Reservate ist es nicht primär nur die Landwirtschaft, die ein Interesse an einer Aufweichung dieser Schutzzonen hat, sondern auch die Bergbauindustrie. Man weiss, dass es in einigen Reservaten reiche Mineralvorkommen gibt. Bolsonaro will diese Vorkommen ausbeuten. Und so unglaublich es klingt: Es gibt auch Indianer, die dieser Idee nicht abgeneigt sind. Sie wollen selbst über ihre Gebiete verfügen und sehen das schnelle Geld.
Bolsonaro sucht die Annäherung an die USA, an Donald Trump, und will sich auf Linie bringen.
Was würde passieren, wenn die Agrarlobby machen könnte, was sie will?
Das wäre verheerend. Ein Team von Wissenschaftlern des nationalen Raumforschungsinstituts – das ist das Institut, das per Satellit die Waldrodung überwacht – hat ein Modell für den «worst case» erstellt, also für den Fall, dass alle Versprechen Bolsonaros umgesetzt werden. Die Abholzung würde sich in diesem Fall innert zwei Jahren verdreifachen und damit wieder auf den Stand vom Jahr 2000 zurückfallen. Natürlich hätte dies enorme Auswirkungen auf die CO2-Emissionen. Die Abholzung ist ja ein grosser Faktor in Brasilien.
Will Bolsonaro deshalb aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen?
Die Idee, aus dem Abkommen auszusteigen, steht tatsächlich im Raum. Das hat im Falle von Bolsonaro auch noch einen diplomatischen Hintergrund. Er sucht die Annäherung an die USA, an Donald Trump, und will sich auf Linie bringen. Die Weltgemeinschaft ist alarmiert, denn ein Ausstieg Brasiliens wäre ein fatales Signal. Brasilien war immer ein sehr wichtiger Akteur im internationalen Klimaschutz, gerade wegen seiner grossen Waldreserven.
Auch die Agrarindustrie selbst hat ein Interesse daran, dass der Regenwald nicht weiter und nicht in diesem Ausmass abgeholzt wird.
Ein Ausstieg könnte aber auch Folgen für Brasilien selbst haben. Selbst in der Agrarindustrie setzt sich immer mehr die Einsicht durch, dass man am eigenen Ast sägen würde. Auch aus praktischen Gründen. Denn die Abholzung hat auch Auswirkung aufs regionale Klima. In Brasilien ist es in den letzten Jahren immer wieder zu Trockenheit gekommen, deren Ursache in der Abholzung liegt. So gesehen hat auch die Agrarindustrie selbst ein Interesse daran, dass der Regenwald nicht weiter und nicht in diesem Ausmass abgeholzt wird.
Das Gespräch führte Barbara Büttner.