Kosovo ist in Feierlaune. Die Hauptstadt Pristina ist in den Nationalfarben geschmückt, und mit einer grossen Parade über die zentrale Flaniermeile der Stadt begeht das Land seinen Unabhängigkeitstag.
Eigentlich wäre jetzt ein guter Tag, um nach vorne zu schauen. Doch Kosovo wird immer wieder von seiner Vergangenheit eingeholt. Das löst bei vielen Frust aus, sagt die Politologin Donika Emini, denn die Unabhängigkeitserklärung 2008 war mit hohen Erwartungen verknüpft: «Die Menschen sind enttäuscht davon, in den 90er-Jahren festzustecken, anstatt vorwärtszugehen in eine europäische Zukunft.»
Noch immer wird das Land vom grossen Nachbarn Serbien nicht anerkannt und weite Teile der serbischen Minderheit fühlt sich dem Staat nicht zugehörig. Der ungelöste Konflikt verhindert auf vielen Ebenen eine Entwicklung im Kosovo.
Die Beziehung zu Serbien als Schlüsselfrage
Das sieht auch René Schlee so. Er leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Pristina. Die Stiftung steht den deutschen Sozialdemokraten nahe. Schlee sagt: «Die Frage der Normalisierung der Beziehung zwischen Kosovo und Serbien ist eigentlich der Schlüssel, dass sich Kosovo wirklich international integrieren kann.»
Noch immer blockieren China und Russland an der Seite Serbiens die Aufnahme Kosovos in die UNO. Aber auch bei einer möglichen EU-Integration geht es nicht vorwärts, nicht zuletzt wegen fünf EU-Staaten, die Kosovo ebenfalls nicht anerkennen.
Der Wirtschaft geht es schlecht.
Der Konflikt mit Serbien behindert nicht nur die internationale Anerkennung Kosovos, er prägt auch die Wahrnehmung des Landes. Das hat Folgen, meint Emini, die auch Geschäftsführerin einer Plattform für Zivilorganisationen in Pristina ist. «Der Wirtschaft geht es schlecht. Kosovo wird in internationalen Medien als instabiles Land an der Schwelle zum Krieg dargestellt», so Emini. Das mache es für Investitionen unattraktiv.
Neben fehlenden Investitionen kämpft die Wirtschaft mit anderen Problemen. Kosovo ist von ausländischen Importen abhängig. Die Inflation trifft das Land daher stärker als andere. Hinzu kommt eine anhaltende, hohe Arbeitslosigkeit. Rund jeder Dritte ist davon betroffen. Emini sagt: «Ich sehe keine langfristige Strategie, wie sich das Land wirtschaftlich entwickeln will, um nicht nur von Transferleistungen der Diaspora abhängig zu sein.» Denn das sei nicht nachhaltig.
Vielzahl an Herausforderungen und doch eine Erfolgsgeschichte
Viele versuchen daher ihr Glück im Ausland. Wie andere Länder in der Region leidet auch Kosovo unter einer starken Abwanderung. Angesichts der Vielzahl an Herausforderungen stecken viele Menschen grosse Hoffnungen in die Regierungspartei Vetevendosje. Die Partei hat die letzten Wahlen 2021 mit einem Rekordergebnis gewonnen und ist mit grossen Reformversprechen angetreten.
Bisher bleibe sie aber hinter den Erwartungen zurück. Emini: «Es gab etwas Fortschritt, etwa in der Korruptionsbekämpfung. Aber das reicht nicht angesichts der Herausforderungen und der hohen Erwartungen.»
Und trotz dieser Vielzahl an Herausforderungen ist Kosovo auch eine Erfolgsgeschichte. Dem Land ist es gelungen, innerhalb weniger Jahre funktionierende staatliche Strukturen aufzubauen. Der Machtwechsel bei den letzten Wahlen zeigt, dass die Demokratie funktioniert. Und schliesslich sei die Unabhängigkeit an sich schon ein grosser Erfolg, so Emini. Eine Unabhängigkeit, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz durchgesetzt hat.