Das zeigt der Unicef-Bericht: Der Bericht spricht davon, dass jedes fünfte Mädchen von sexualisierter Gewalt betroffen ist. Jedes achte Mädchen hat demnach eine Vergewaltigung oder einen sexuellen Übergriff erlebt. Das sei der globale Durchschnitt. Die Zahlen sind einerseits sehr erschreckend, anderseits sind sie nicht neu, wie die Expertin für sexualisierte Gewalt und Opferberatung, Agota Lavoyer, sagt. Neu sei, dass es jetzt eine globale Auswertung gebe. Doch das Ausmass sexualisierter Gewalt an Kindern sei bekannt, sagt Lavoyer, welche einen Ratgeber zu sexualisierter Gewalt geschrieben hat. Das zeigen bereits Zahlen aus Länderstudien, aber auch von der Weltgesundheitsorganisation.
In diesen Regionen gibt es am meisten Betroffene: In der Subsahara oder in Ost- und Südostasien gibt es am meisten Betroffene. An dritter Stelle erwähnt der Bericht mit ähnlich hohen Zahlen Europa und Nordamerika. Für Lavoyer ist es wichtig, dass dies aufgeschlüsselt ist. Man erkenne daran, dass sexualisierte Gewalt an Kindern nicht nur andere Regionen oder andere Länder betreffe, sondern tatsächlich überall auf der Welt ausgeübt werde, auch mitten in unserer Gesellschaft.
Verschiedene Gründe für sexualisierte Gewalt: Man müsse mit Mythen, mit falschen Annahmen über sexualisierte Gewalt an Kindern aufräumen, sagt die Expertin: «Die Gesellschaft geht immer davon aus, dass all diese Tatpersonen pädosexuelle Neigungen haben und dass dies die Ursache für sexualisierte Gewalt an Kindern ist.» Tatsächlich sei es aber so, dass der viel grössere Teil der Gewalt gesellschaftlich bedingte Ursachen habe und sich nicht bloss mit der pädosexuellen Neigung oder einer Neigung erklären lasse. Sexualisierte Gewalt gegen vermeintlich schwächere oder wehrlose Menschen – also auch gegen Kinder – sei vielmehr Ausdruck patriarchaler Geschlechterverhältnisse.
Das sind Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt: Grundsätzlich kann sexualisierte Gewalt jedes Kind betreffen. Es gibt aber Risikofaktoren, die sogenannten fragilen Settings. Einerseits wisse man, dass Kinder, die bereits Gewalt in der Erziehung erfahren haben und im Glauben aufgewachsen seien, dass Gewalt und Liebe zusammengehörten, ein höheres Risiko haben, sexualisierte Gewalt zu erfahren, so Lavoyer. Dann seien auch vernachlässigte Kinder oder Kinder mit grosser Bedürftigkeit gefährdet.
Weiter seien Kinder, die sehr abhängig sind, zum Beispiel auch behinderte Kinder oder wenig sozial integrierte Kinder gefährdet. Hier muss man sich laut Lavoyer bewusst sein: «Tatpersonen gehen enorm strategisch und höchst manipulativ vor.» Sie wählten die Kinder oder die Familien gezielt aus.
So ist die Situation in der Schweiz: «In der Schweiz weiss man von Fällen, wo sich Täter absichtlich oder strategisch Quartiere auswählen, in denen viele Menschen in prekären Situationen leben oder Kinder, die vernachlässigt werden.» Der Bund hat Prävalenz-Studien zu sexualisierter Gewalt in Aussicht gestellt. Lavoyer hofft, dass dort auch das Thema Kinder und Jugendliche, also minderjährige Betroffene, mit einbezogen wird, damit die Prävention verbessert werden kann.