Nach regierungskritischen Demonstrationen im Iran sind am Samstag Tausende Anhänger der Regierung auf die Strasse gegangen. Die Kundgebungen fanden zum Jahrestag der Niederschlagung der letzten grossen Protestwelle im Iran im Jahr 2009 statt.
Die Proteste richteten sich ursprünglich gegen die hohe Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen, später jedoch auch gegen die Regierung als Ganzes. Während sich das Staatsfernsehen am Samstag auf die regierungstreuen Demonstranten konzentrierte, warnten Regierungsvertreter davor, den Unmut der Bevölkerung zu ignorieren. Das Land stünde mit hohen Preisen, Korruption und sozialen Unterschieden grossen Herausforderungen gegenüber, schrieb Präsidentenberater Hesamoddin Aschena auf Twitter.
SRF News: Frau Meier, wer genau geht da auf die Strasse?
Irene Meier: Auf diesen Bildern sehen wir junge Demonstranten, die gegen das Regime auf die Strasse gehen. Über die Dimension der Proteste kann man sich kein Bild machen, weil es keine unabhängigen Quellen oder Nachrichten gibt. Die Informationen kommen von zwei Seiten – den zensierten Staatsmedien und von den Sozialen Medien, und beide Seiten verfolgen ihre eigenen Interessen. Das Regime sagt es seien nur ein paar Hundert Demonstranten, die Aktivisten auf den Sozialen Medien sprechen von Tausenden. Zudem wird auf den Sozialen Medien gesagt, dass sich die Proteste ständig im ganzen Land ausbreiteten.
Welche Gründe haben die Menschen im Iran, auf die Strasse zu gehen?
In erster Linie ist es die wirtschaftliche Situation im Land. Der erste Protest am Donnerstag fand in Maschad statt. Das ist die zweitgrösste Stadt des Landes. Und es ging dabei um die immer höher werdenden Preise für Grundnahrungsmittel. Aber die Unzufriedenheit der Menschen geht weit darüber hinaus. Es geht um die soziale Ungerechtigkeit, um die grassierende Korruption und die riesige Arbeitslosigkeit. Das alles macht die regierungskritischen Demonstranten wütend.
Viele Menschen im Iran haben gehofft, dass sich mit dem Atomabkommen und der Öffnung des Landes ihre Situation verbessern würde. Das ist nicht passiert. Die Wirtschaft wächst zwar, und die Inflation ist gesenkt worden. Doch grundsätzlich ist die Situation in der unteren und mittleren Schicht unverändert. Präsident Rohani versucht zwar, die Lage zu verbessern. Aber er hat einen sehr engen Spielraum.
Intern hat er Feinde – die mächtigen Revolutionsgarden, die ihre Pfründe behalten wollen und Wirtschaftsreformen ablehnen. Und von aussen kommt der Druck von Präsident Trump in Washington, der das Atomabkommen aufzukündigen droht. Und wegen den USA ist der Iran auch noch nicht reintegriert ins globale Finanzsystem.
Wegen den USA ist der Iran noch nicht reintegriert ins globale Finanzsystem.
Abgesehen von den wirtschaftlichen Gründen sind aber auch politische Slogans in den Demonstrationen zu hören. Was hat es damit auf sich?
Das ist das Heikle für das Regime. Es geht offenbar in unterschiedliche Richtungen. In Maschad gab es Rufe gegen den Reformer Rohani. In anderen Städten sind es Slogans gegen die konservativen Kleriker der Regimes. Es gibt aber auch Kritik an der Interventions-Politik wie zum Beispiel in Syrien.
2009 wurden grosse Demonstrationen vom Regime niedergeschlagen. Wie reagieren die Machthaber auf die neusten Demonstrationen?
Das Regime versucht es mit einer Demonstration der Stärke. Am Samstag gab es sehr grosse Kundgebungen von regimetreuen Anhängern. Offiziell zum Anlass des Jahrestages des Niederschlagens des Aufstandes von 2009. Das Staatsfernsehen zeigt gross diese Bilder und übertüncht so die Aktionen der Regimegegner.
In den Kreisen von Präsident Rohani, in den viele Iraner und Iranerinnen Hoffnung setzen, heisst es, man müsse und werde die Protest ernst nehmen, und man arbeite daran die Lage der Menschen zu verbessern.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.