Israel hat innert der letzten Tage Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen, dem Libanon und Syrien erlebt. Dies in einem Ausmass, wie seit Jahren nicht mehr. Die Sicherheitslage sei herausfordernd, sagte Israels Regierungschef Netanjahu. Die israelische Luftwaffe hat als Reaktion verschiedene Ziele beschossen. Weshalb eine weitere Eskalation aktuell aber wenig wahrscheinlich ist, erklärt Israel-Expertin Beatrice Gorawantschy.
SRF News: Weshalb erfolgt die Eskalation gerade jetzt?
Beatrice Gorawantschy: Da gibt es drei Faktoren: Zum einen fallen aktuell der muslimische Fastenmonat Ramadan und das jüdische Pessachfest zusammen. Die Anzahl derer, die den Tempelberg besuchen, ist höher als gewöhnlich. Auf dem Tempelberg gab es in der vergangenen Woche Ausschreitungen, die unter anderem zur jetzigen Eskalation beigetragen haben. Ein zweiter Punkt ist die Tatsache, dass sich in der aktuellen israelischen Regierung extrem rechte Kräfte befinden, die die Situation noch konfliktreicher machen. Ein dritter Punkt ist, dass die Feinde Israels im Moment auch sehen, dass die israelische Regierung geschwächt ist, möglicherweise handlungsunfähig.
Inwiefern hängen die aktuellen Angriffe zusammen?
Es gibt Hinweise darauf, dass die Angriffe möglicherweise von Teheran koordiniert sind.
Also steckt Iran dahinter?
Absolut. Das iranische Regime hat seit Jahren ein Interesse daran, Israel zu destabilisieren und spricht seit Jahren von der Vernichtung Israels. Es möchte auf der anderen Seite sein eigenes Atomprogramm ausbauen. Hier bemüht sich Israel, dem entgegenzuwirken.
Die Sequenz der Angriffe trifft auf eine geschwächte israelische Regierung und damit auch auf einen Mangel an Optionen, angemessen zu reagieren.
Israels Militär hat Angriffe geflogen, aber nicht etwa auf den Iran, sondern auf Stellungen im Gazastreifen zum Beispiel. Es scheint, dass man die grosse Eskalation mit Iran nicht riskieren möchte.
Das ist richtig. Es scheint, dass Israel an allen Fronten angegriffen wird, aber nicht auf alle Fronten zurückschlagen möchte. Beschränkt ist aktuell das Narrativ auf eine Front, in diesem Falle die Hamas. Das hat auch innenpolitische Gründe. Die Sequenz der Angriffe trifft auf eine geschwächte israelische Regierung und damit auch auf einen Mangel an Optionen, angemessen zu reagieren. Die Armee und andere Sicherheitsdienste warnen vor politisch motivierten Operationen, denn in der Bevölkerung gäbe es aktuell nicht den entsprechenden Rückhalt.
Kommt hinzu, dass eine solche ausgedehnte Militäroperation mit möglichen Todesopfern den Rest der Pessachfeiertage und den kommenden Unabhängigkeitstag überschatten würde. Man darf auch nicht vergessen: Benjamin Netanjahu hat vor zwei Wochen seinen Verteidigungsminister entlassen. Es herrschen keine idealen Rahmenbedingungen für grössere Vergeltungsschläge, die weitere Eskalationsstufen nach sich ziehen könnten.
Sie rechnen also nicht damit, dass sich die Hardliner in der Regierung Netanjahu durchsetzen werden?
Nein, und ich rechne auch nicht damit, dass es noch weiter eskaliert. Zwar müssen wir uns vor Augen halten, dass das letzte Jahr als das tödlichste Jahr seit 2006 bezeichnet wird, sowohl auf der israelischen als auch auf der palästinensischen Seite. Und wenn man sich die ersten vier Monate dieses Jahres anschaut, dann gehen nicht nur die Todeszahlen, sondern auch die Sequenz und die Beschleunigung der tödlichen Angriffe in die Höhe, wo man denken könnte, die Eskalation geht weiter. Aber auf der anderen Seite gibt es für alle Beteiligten doch sehr unkalkulierbare Risiken.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.