Ein neues Steuergesetz hat das Fass zum Überlaufen gebracht; zwar wäre eine Mehrheit der jordanischen Bevölkerung von den Steuererhöhungen gar nicht betroffen gewesen. Aber ungeachtet dessen war die Wut über dieses geplante Gesetz so gross, dass dessen Urheber – Premierminister Hani Mulki – heute den Hut nehmen musste.
Bisher zahlte keine Steuern, wer weniger als 12'000 jordanische Dinar (JD) (16'800 Franken) pro Jahr verdient. Nun sollte diese Minimal-Steuergrenze aber um 4000 JD gesenkt werden. Laut Schätzungen der Regierung hätten nur ein paar Prozent der Bevölkerung neu Steuern zahlen müssen. Warum also diese Empörung? – dachte sie sich.
«Manaash! Wir haben nichts»
Wer in Jordanien mit den Leuten redet, merkt schnell: Ihr Alltag ist schwierig. Alles ist teuer. Ein Wochenend-Lebensmitteleinkauf im Supermarkt ist etwa gleich teuer wie in der Schweiz. Die meisten verdienen aber nur einige Hundert Dinar im Monat. Und geben über ein Drittel ihres Budgets für Lebensmittel aus. Das Geld reicht nicht einmal bis Mitte Monat.
Fünfzig Prozent Inflation in den letzten 10 Jahren haben der Bevölkerung zugesetzt. Alles ist teurer geworden, weil die jordanische Wirtschaft seit Jahren unter den Krisen in der Region leidet. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 18 Prozent. Das neue Steuergesetz würde vor allem die Mittelschicht treffen. Aber Steuerhöhungen sind für alle eine Provokation.
Unsensible Regierung
Am vergangenen Mittwoch riefen Berufsverbände zum Streik auf. Tausende Ingenieure, Ärztinnen, Angestellte und Selbständige legten ihre Arbeit nieder und demonstrierten. Als ob nichts gewesen wäre, erhöhte die Regierung am nächsten Tag die Benzin- und Strompreise.
In der Nacht auf Freitag kam es zu wütenden Protesten, und König Abdullah II. musste einschreiten. Er befahl der Regierung, die Preiserhöhungen zurückzunehmen. Wenigstens für den Ramadan-Monat Juni. Trotzdem gingen die Proteste seither Nacht für Nacht weiter.
«Unfair, dass die Bevölkerung die ganze Last tragen muss»
Und wieder schritt der König ein: Es sei unfair, dass die Bevölkerung die ganze Last des Sparprogramms tragen müsse, sagte er, und sprach damit seinem Volk aus der Seele. Er forderte die Regierung auf, dafür zu sorgen, dass die teils miserablen staatlichen Dienstleistungen verbessert werden. Mit Worten allein ist seinem Volk allerdings noch nicht geholfen. Auch die Entlassung des ungeliebten Premierministers wird die Not nicht lindern.
Jordanien kämpft ums Überleben
Da sind zum einen die Sparvorgaben der Weltbank und des IWF. Es braucht dringend echte wirtschaftliche Reformen im armen Wüstenstaat. Und ernsthafte Massnahmen gegen die weitverbreitete Korruption. Und zum andern muss das Königreich um seine Rolle im geopolitischen Machtspiel kämpfen.
Neu gibt Saudi-Arabien den Ton an in der Region, spannt sogar mit Israel zusammen, um den Einfluss des Iran zurückzudrängen. Der jordanische König muss aufpassen, dass ihm der saudische Königshof nicht den Rang abläuft. Und als ob das alles noch nicht genug wäre, fliesst weniger internationale Hilfe für die 1,3 Millionen syrischen Flüchtlinge im Land, ebenso für die Palästinenser, von denen noch immer einige Tausend in Flüchtlingslagern leben.
Damit das Land seine Probleme bewältigen kann, braucht es mehr als einen besonnenen König. Die Politiker müssen einsehen, dass es ihre Aufgabe ist, dem Volk zu dienen. Das tun zu viele jetzt nicht. Und sie bringen damit das Land an den Rand einer Krise. Immerhin hat eine Mehrheit des Parlaments jetzt eingesehen: Ohne Dialog mit dem Volk kann ein neues Steuergesetz nicht eingeführt werden.