Die «New York Times» hat am Wochenende Dokumente der chinesischen Regierung veröffentlicht, die den Vorwurf der systematischen Unterdrückung der Uiguren erhärten. «Absolut keine Gnade» lautet gemäss den geleakten Papieren das Motto.
Nach der chinesischen Zeitung «Global Times» hat auch das chinesische Aussenministerium reagiert und kritisiert vor allem die fehlende Moral der westlichen Medien, wie Korrespondent Martin Aldrovandi berichtet.
Wie begründet die chinesische «Global Times» den Vorwurf an den Westen?
Martin Aldrovandi: Die Parteizeitung kontert die Kritik an Chinas Xinjiang-Politik unter anderem mit der Bemerkung, den westlichen Eliten wäre es wohl lieber, wenn die Region in Gewalt und Chaos versänke. Im Kommentar werden sodann Chinas Anstrengungen für Frieden und Stabilität gelobt. Mit dem Kampf gegen Terrorismus seien schon Menschen gerettet worden. Ein Sprecher des Aussenministeriums warf der «New York Times» eine selektive Interpretion vor. Die Echtheit der Dokumente stellte die Regierung überraschenderweise nicht in Frage.
Terroranschläge von Uiguren hat es bereits gegeben. Wie berechtigt ist die Angst vor Unruhen in der Provinz Xinjiang?
Diese Angst ist nicht ganz unberechtigt, wie die ethnischen Unruhen mit vielen Toten vor zehn Jahren zeigen. Ebenso die tödlichen Anschläge vor fünf Jahren. Fraglich ist, ob die aktuelle Unterdrückung die richtige Antwort ist. Uiguren, mit denen ich sprechen konnte, fühlen sich unter Generalverdacht gestellt, weil sie solche Gewalt genauso ablehnen wie die Chinesen. Es wird auch kritisiert, dass so Menschen erst recht in den Extremismus getrieben würden. Falls die geleakten Dokumente von einer Behörde stammen, deutet das darauf hin, dass Pekings Unterdrückungspolitik auch in der Regierung nicht unumstritten ist.
Die systematische Repression in der Region wird als berechtigt bezeichnet. Wie verbreitet ist diese Sicht in China?
Erschreckenderweise ist die Haltung relativ weitverbreitet. Entweder interessieren sich viele Menschen in Schanghai oder Peking gar nicht dafür. Oder sie sprechen von einer gefährlichen Region, die man wegen drohender Anschläge nicht bereisen soll. Viele trauen den Uiguren nicht so recht, und Vorurteile sind weit verbreitet. Viele lehnen auch den Islam ab. Es gibt aber auch andere Stimmen. Doch wer das Vorgehen der chinesischen Führung in Xinjiang missbilligt, kann das nicht öffentlich äussern.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.