Nach einer mehr als fünfstündigen Sitzung ihres Kabinetts hat die britische Premierministerin Theresa May grünes Licht für ihre Brexit-Pläne erhalten: Die Regierungsmitglieder unterstützten den mit der Europäischen Union ausgehandelten Scheidungsvertrag.
Sondergipfel Ende November
Nun sollte es auch möglich sein, am 25. November einen Sondergipfel abzuhalten, um dies zu besiegeln. Anschliessend, noch vor Weihnachten, kommt das Geschäft vors britische Parlament – dort sieht es derzeit nach einer Ablehnung aus.
Ursprünglich hatte die EU eine Rückfallposition («Backstop») vorgesehen, bei der nur Nordirland in der Zollunion und weiten Teilen des Binnenmarktes verbleiben würde, falls man keine andere, dauerhafte Vereinbarung finde. Doch das lehnten Theresa May und ihre nordirischen Verbündeten, die protestantische Democratic Unionist Party (DUP), vehement ab. Die EU lenkte ein: Nun wird in einem solchen Fall das ganze Königreich in einer abgespeckten Zollunion bleiben, muss aber EU-Regeln weiter einhalten.
Befürworter eines radikalen Brexit sind unzufrieden
Nordirland bliebe unter dieser Regelung enger an die EU gefesselt als Grossbritannien. Deshalb hat sich die DUP bereits von der Zusammenarbeit mit May verabschiedet. Eine organisierte Gruppe von konservativen Abgeordneten, die einen radikalen Brexit fordern, will ebenfalls gegen die neue Vereinbarung stimmen. Die Hoffnung der Regierung, genügend Labour-Abgeordnete auf ihre Seite zu ziehen, erscheint unbegründet.
Sollte das Scheidungsabkommen trotzdem zustande kommen, beginnt am 30. März 2019 eine Übergangsfrist von 21 Monaten, während der sich nicht viel ändert – ausser dass die Briten sich aus den EU-Gremien zurückziehen. Während dieser Zeit wird über einen definitiven Handelsvertrag verhandelt. Allein, niemand erwartet, dass dieser bis Ende 2020 abgeschlossen wird. Dann tritt ab 2021 der neue «Backstop» in Kraft. Die Befürchtung der Brexit-Befürworter, dass dies zum Dauerzustand werden könnte, ist nicht unbegründet. Denn das definitive Verhältnis muss ja ebenfalls eine unsichtbare Grenze in Irland ermöglichen. Und das ist nur denkbar, wenn Binnenmarkt und Zollunion weiter gelten.
Zwischen Stuhl und Bank
Wie schon beim sogenannten Chequers-Papier vom letzten Juli, als Theresa May ihren Brexit skizziert hatte, ist es ihr erneut gelungen, die verfeindeten Gruppen der Tory-Partei zu einigen: Niemand mag diesen Scheidungsvertrag. Die Brexit-Gegner machen geltend, das Land verliere unnötig an Einfluss, ohne irgendwelche Zugewinne. Die Brexit-Befürworter dagegen halten das neue Papier für einen Verrat am Wählerwillen und klagen, unter dem «Backstop» dürfe das Land ja keine neuen Handelsverträge mit Drittstaaten abschliessen.
So scheint eine Niederlage im Unterhaus plausibel. Doch das Parlament wird das Chaos eines vertragslosen Zustandes nicht erlauben. Eine Neuwahl wird kaum Klarkeit schaffen, da die Labour-Opposition auch nicht weiss, was sie will. Es bleibt ein zweites Referendum übrig, mit der Möglichkeit, den Brexit abzusagen.