Darum geht es: In Israel dürfen gleichgeschlechtliche Paare und alleinstehende Männer in Zukunft mithilfe von Leihmüttern Kinder bekommen. So hat das oberste Gericht des Landes am vergangenen Sonntag geurteilt. Bisher mussten Betroffene Hilfe im Ausland suchen, wenn sie ein Kind per Leihmutterschaft haben wollten. «Nepal war beispielsweise eine der Destinationen», weiss die in Israel lebende Journalistin Gisela Dachs. Das Gericht beauftragt mit dem Urteil die israelische Regierung, binnen sechs Monaten ein entsprechendes Gesetz zu erlassen. Ein ähnliches Urteil hatte das Gericht schon im Februar 2020 gefällt, doch die damalige Regierung unter Benjamin Netanjahu unternahm nichts in der Sache.
So sind die Reaktionen: Das Urteil des obersten israelischen Gerichts sei bei Unterstützern der LGBT-Community begeistert aufgenommen worden, sagt Dachs. «Sie bezeichneten es als ‹historischen Meilenstein im Kampf für die Gleichberechtigung›.» Auf der anderen Seite stehen die jüdischen ultraorthodoxen Kreise: Vor allem streng religiöse Parteien lehnen Gesetzesänderungen zugunsten von homosexuellen Paaren ab, weil sie dies als Verstoss gegen jüdische religiöse Gebote sehen. So twitterte der frühere Innenminister Arje Deri von der ultraorthodoxen Schas-Partei, das Urteil sei «ein Schlag gegen Israels jüdische Identität». Ansonsten seien die Reaktionen auf das Urteil eher verhalten gewesen, so Dachs.
Das ist die Haltung der Regierung: Die neue israelische Regierung unter Premier Naftali Bennett ist sehr breit aufgestellt – und erstmals seit Jahrzehnten sind keine ultraorthodoxen Parteien mehr darin vertreten. Trotzdem sind an der Regierung auch Gegner der Gleichberechtigung von gleichgeschlechtlichen Paaren beteiligt – etwa die sehr konservative muslimische Ra'am-Partei. «Auch die muslimische Minderheitsbevölkerung in Israel wird von dem Urteil nicht begeistert sein», sagt die Journalistin Dachs. Auf der anderen Seite sind wichtige Regierungsmitglieder bekennende Homosexuelle, wie etwa Gesundheitsminister Nitzan Horowitz. Bei der Umsetzung des Gerichtsurteils gebe es deshalb «einigen Spielraum und Möglichkeiten».
So ist die Realität in Israel: Die einzige Demokratie im Nahen Osten gehört bei den Rechten von Homosexuellen mit zu den tolerantesten westlichen Ländern – und vor allem die Hauptstadt Tel Aviv gilt als besonders liberal. Doch in den ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaften ist das Thema tabu. Dachs hat eine Erklärung dafür, wieso die israelische Gesellschaft insgesamt Homosexuellen gegenüber dennoch recht aufgeschlossen ist: «Homosexuelle in Israel haben sich das Familienideal sehr stark zu eigen gemacht.» Dieses Ideal sei in der jüdischen Tradition stark verankert, was den homosexuellen Menschen zu gesellschaftlicher Legitimität verhelfe. «Wenn sich in einer Familie eine Person als homosexuell outet, dann ist oftmals seine ganze Familie dafür, dass auch er eine eigene Familie haben darf», so Dachs.